Wertschöpfungszentren – Chance für Regionalvermarktung?
Wertschöpfungszentren – Chance für Regionalvermarktung?
Die Einrichtung von Regionalen Wertschöpfungszentren könnten die regionale Vermarktung stärken
24.11.2020 – 34 Partner aus Verbänden, Regionalinitiativen, Ernährungsräten, Hochschulen, Kirche, Verwaltung und Unternehmertum bilden das Netzwerk Regionalitätsstrategie NRW. Unter der Federführung der Regionalbewegung NRW erarbeiten sie Handlungsempfehlungen für eine zukunftsorientierte Regionalisierung unseres Ernährungssystems. Am 17. November diskutierten die Netzwerkpartner im Online-Forum zusammen mit Vertreterinnen und Vertreter des Landtages Nordrhein-Westfalen die Idee der Einrichtung Regionaler Wertschöpfungszentren (RegioWez). Mit dem Aufbau von solchen Zentren könnten Hürden der Regionalvermarktung abgebaut und Orte für Vernetzung, Beratung, Bündelung und Weiterverarbeitung geschaffen werden, so der Tenor der Veranstaltung.
Regionale Wertschöpfungszentren in sogenannten Nahversorgungsregionen könnten – mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet – den Boden bereiten für eine lebendige und diverse bäuerliche Landwirtschaft mit regionalen Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen sowie einem vielfältigen Lebensmittelhandwerk. „Ein wirksames Instrument um die dringend benötigte Wende in der Ernährungswirtschaft einzuläuten“, betonte Brigitte Hilcher, Vorsitzende der Regionalbewegung NRW.
Was wären die Aufgaben dieser Zentren, wo sollten sie angesiedelt sein, wie könnten sie finanziert werden und was wären die ersten Schritte in den Regionen? Diese Fragestellungen berieten die Teilnehmenden in Themenrunden wie auch mit Vertreterinnen und Vertretern dreier Landtagsparteien.
Die Regionalen Wertschöpfungszentren wären erste Ansprechstellen für Betriebe, die in die Regionalvermarktung einsteigen wollen. Die zum Beispiel nach Wegen suchen, wie sie ihre Produkte sinnvoll und logistisch gut geregelt zu interessierten Gastronomiebetrieben in der Region bringen oder wie sie gemeinsam mit anderen Betrieben eine Regionalmarke aufbauen können. Die entsprechend geschulten Wertschöpfungsmanagerinnen und -manager in den Zentren hätten den Überblick, welche Regionalvermarktungsmodelle es überhaupt gibt, was in anderen Regionen gut läuft und wie erste Schritte aussehen könnten. Sie wissen, welche Förderungen möglich sind und sie begleiten die Unternehmerinnen und Unternehmer nicht nur bei den Antragstellungen, sondern auch bei der Durchführung und Abwicklung. Durch entsprechende Moderationsleistungen erarbeiten sie ein politisches Agreement für die Notwendigkeit von Regionalisierungsprozessen, die in regionale Strategiepläne münden. Sie generieren kommunale Unterstützung und Förderungen für den Wiederaufbau bzw. die Erhaltung von kleineren Schlachthäusern, Mühlen, Fleischereien, Bäckereien oder Gemüseaufbereitungsbetrieben.
Alle drei anwesenden Landtagsabgeordneten begrüßten das Konzept als sehr guten Ansatz, regionale Vermarktung nach vorne zu bringen. Bianca Winkelmann (CDU) befürwortete die Idee vor allem vor dem Hintergrund der notwendigen Koordinierung der einzelnen Projekte und Initiativen in den Regionen. Sie schlug vor, das Konzept in ein bis zwei Modellregionen zu testen. Einige der Anwesenden wie auch Annette Watermann-Krass (SPD) und Norwich Rüße (Bündnis 90 / Die Grünen) gaben zu bedenken, dass die Zeit für Modellversuche aktuell nicht mehr vorhanden sei und dass die Regionalen Wertschöpfungszentren besser über das gesamte Land verteilt mit einer stabilen Zukunftsperspektive eingerichtet werden sollten.
Die Zahl der Betriebsaufgaben in der Landwirtschaft wie auch im Lebensmittelhandwerk steige immer weiter an und es sei dringend geboten, diesen Betrieben Perspektiven zu geben. „Wenn wir diese Prozesse aufhalten wollen, müssen wir Geld in die Hand nehmen und das muss schnell gehen“, so Norwich Rüße. Finanzierungsmöglichkeiten für die Zentren in möglichst vielen Regionen NRWs sieht er in einer Mittelumschichtung innerhalb des NRW Landeshaushaltes. „Vor 20 Jahren hatte das Umweltministerium verhältnismäßig mehr Gelder zur Verfügung als heute.“ Die Lücke von ca. einer halben Milliarde Euro könne schon eine Menge für Naturschutz und Regionalvermarktung bewirken, rechnete Rüße vor.
Auch Dr. Karl Kempkens, Leiter des Fachbereichs Ökologischer Land- und Gartenbau an der Landwirtschaftskammer NRW, sprach sich für mehr Unterstützung der Betriebe aus: „Aus- und Umstiege der Betriebe (in Richtung Ökolandbau oder Regionalvermarktung) wird es nur dann geben, wenn die Betriebe realistische Chancen woanders sehen. Das zeigt sich deutlich bei der Umstellung auf ökologische Erzeugung. Wenn der Markt da ist, stellen mehr Betriebe um, das wissen wir aus unserer Arbeit. Fazit: Die Nachfrage muss geschaffen werden und dafür braucht es Strukturen.“ Silke Friedrich vom Institut für Nachhaltige Ernährung (iSuN) in Münster sprach sich in diesem Zusammenhang für Ausstiegsstrategien für Betriebe aus, die sich regional aufstellen wollen. Hierbei könnten die Regionalen Wertschöpfungszentren eine wichtige Rolle spielen. Die Nachfrage nach regionalen Produkten könne durch eine Verarbeitung in der Gemeinschaftsverpflegung – ein Markt mit hohen Wachstumsraten – wesentlich voran gebracht werden, so Annette Watermann-Krass.
Es gibt viele Fördermaßnahmen, die in den Regionen immer wieder sehr Gutes entstehen lassen. So zum Bespiel auch das aktuelle Förderprogramm zur mobilen Schlachtung, das sehr gut nachgefragt wird. Mehrfach wurde in der Diskussion die Arbeit des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW und hier vor allem die Beratung zur Absatzförderung und Marktstrukturverbesserung durch Jürgen Sons gelobt. Allerdings sei eine Person für diese wichtige Beratungsleistung zu wenig, so Rüße. „Letztlich müssen wir uns ehrlich machen“, gab Frau Friedrich zu bedenken „und uns fragen, ob unser finanzieller Einsatz und die bislang eingeschlagene Richtung für dieses wichtige Zukunftsthema ausreichen.“
Von zentraler Bedeutung sei es, die RegioWez nicht losgelöst von bereits bestehenden Strukturen zu sehen, betonte Brigitte Hilcher. Angeknüpft werden muss selbstverständlich an die Arbeit der Kammern und Verbände sowie der gesellschaftlichen Akteure aus den Reihen der bereits bestehenden Regionalinitiativen. Und ganz klar wurde: Die Regionalen Wertschöpfungszentren können nur ein Baustein sein, um Regionalisierungsprozesse nach vorne zu bringen. Nötig sind außerdem: Ergänzende Ernährungsräte mit Fachpersonal in den Städten, breit gefächerte Qualifizierungsangebote seitens der Fachverbände, Kammern und Innungen, flankiert von einem Landesprogramm Regionale Wertschöpfung und einem umfangreichen Investitionsprogramm zur Stärkung klein- und mittelständischer Betriebe entlang der Wertschöpfungskette im Lebensmittelbereich.
„Ziel ist ein ausgewogenes Verhältnis von regionaler Selbstversorgung und globalem Handel, kein Entweder-Oder“, so Hilcher abschließend. Da sich die Regionalversorgung bundesweit eher im einstelligen Prozentbereich bewegen dürfte, sei hier noch viel Luft nach oben. Die vorwiegende Orientierung auf Exportmärkte und den globalen Handel widerspricht dem Grundverständnis einer überzeugenden regionalen Kreislaufwirtschaft, verschärft das Transportaufkommen und trägt zudem zur Zerstörung der kleinbäuerlichen Strukturen und Marktsysteme in den Ziel-Ländern des Südens bei. Der Handlungsbedarf sei also vielfältig.
Die Veranstaltung endete mit der Zusage der Politik die Ausgestaltung möglicher RegioWez auch im Zusammenhang mit den geplanten neuen Ökomodellregionen für NRW gemeinsam mit dem Netzwerk Regionalitätsstrategie zu beraten. Eine erste Möglichkeit hierzu besteht im Rahmen der laufenden Enquetekommission „Gesundes Essen. Gesunde Umwelt. Gesunde Betriebe.“, die derzeit im Landtag NRW läuft und bei der die Regionalbewegung als Sachverständige berät.
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=> Kurzversion: Konzept für Regionale Wertschöpfungszentren
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