Dr. Ute Symanski: Für ein fahrradfreundliches NRW
25 Prozent bis 2025
Dr. Ute Symanski: Für ein fahrradfreundliches Nordrhein-Westfalen
Am 4. November 2021 hat der Landtag von Nordrhein-Westfalen erstmals für ein Flächenland ein Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz verabschiedet. Ein Meilenstein für die Radfahrer:innen im bevölkerungsreichsten Bundesland, ein Meilenstein auch für Dr. Ute Symanski? Die Vorsitzende des Kölner Vereins RADKOMM und Mitbegründerin der Volksinitiative Aufbruch Fahrrad bilanziert: »Als Vertrauensperson der Volksinitiative freue ich mich grundsätzlich über das Gesetz. Allerdings haben wir uns mehr Klarheit, mehr Mut, mehr Verbindlichkeit gewünscht.« Es fehle an konkreten Maßnahmen, um zeitnah spürbare Verbesserungen für Radverkehr und Klimaschutz zu erreichen. »Dennoch ist es ein riesiger Erfolg, die Landesregierung davon überzeugt zu haben, dieses Gesetz zu formulieren. Mit Aufbruch Fahrrad haben wir den politischen Diskurs rund um das Thema nachhaltige Mobilität ordentlich gepusht.«
Der Auftrag der Volksinitiative Aufbruch Fahrrad an die Landespolitik war klar und eindeutig: 25 Prozent Radverkehrsanteil in NRW bis zum Jahr 2025. Am 22. Mai 2018 hatte Ute Symanski Aufbruch Fahrrad beim Landeswahlleiter angemeldet. Eine doppelte Premiere: Ute Symanski ist die erste Frau in der Geschichte unseres Bundeslandes, die eine Volksinitiative angemeldet hat, und zwar die erste Volksinitiative für ein Mobilitätsthema. Rund 66.000 Unterschriften wären erforderlich gewesen, um den Landtag zur Beschäftigung mit dem Ausbau der Fahrradmobilität zu bewegen.
Mehr Wumms
Am Ende waren es knapp 207.000 Stimmen aus 394 der 396 Kommunen in Nordrhein-Westfalen, die am 2. Juni 2019 per Lastenradkonvoi und unter stimmungsvoller Begleitung zahlreicher Radfahrer:innen zum Düsseldorfer Landtag gefahren und samt der Forderungen an NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser übergeben wurden. Jetzt musste sich der Landtag damit befassen: Am 18. Dezember 2019 stimmten die Abgeordnet:innen der Volksinitiative Aufbruch Fahrrad in allen Punkten zu – ohne Gegenstimme. Noch eine Premiere, denn so etwas gab es in NRW noch nie.
Gleichwohl lassen Ute Symanski und ihre Mitstreiter:innen keinen Zweifel daran, dass Aufbruch Fahrrad noch mehr erreichen wollte: »Keine der von uns im Gesetzgebungsverfahren vorgeschlagen Änderungen am Entwurf wurden berücksichtigt.« Selbst die zentrale Forderung, die Jahreszahl 2025 als Meilenstein auf dem Weg zur Verkehrswende zu benennen, wurde nicht aufgenommen. Für Ute Symanski kein Grund, mit ihren Anstrengungen nachzulassen, im Gegenteil: »Wir werden uns dafür einsetzen, dass das Gesetz nachgebessert wird und den ›Wumms‹ bekommt, den eine wirklich nachhaltige Verkehrspolitik in NRW braucht.«
Ein Kind des Ruhrgebiets
Ute Symanski studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaften, Psychologie und Slawistik an der Universität Münster. Von 1997 bis 2009 war sie in verschiedenen Leitungspositionen im Wissenschaftsmanagement tätig, unter anderem an der Technischen Universität Dortmund, der Rheinisch-Westfälischen Wilhelms-Universität Aachen und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst. Im Jahr 2012 promovierte sie zur Organisationskultur an Universitäten. Heute entwickelt Ute Symanski gemeinsam mit Wissenschaftsorganisationen, Kommunen, Städten und anderen Organisationen individuelle Nachhaltigkeitsstrategien, insbesondere für die Leitungsebene.
Die 1970 in Gelsenkirchen geborene Ute Symanski bezeichnet sich als Kind des Ruhrgebiets. »Als solches bin ich mit dem Auto unterm Popo auf die Welt gekommen«, erzählt sie. In ihrer Heimat habe das Auto seinerzeit als die »natürliche Fortsetzung des eigenen Körpers « gegolten. Allerdings sei ihr die Allgegenwart des Autoverkehrs bereits in jungen Jahren komisch vorgekommen: »Es gab für mich schon damals kaum deprimierende Orte als Autobahnen.« Ihr letztes eigenes Auto verkaufte Ute Symanski kurz vor ihrem Umzug von Aachen nach Köln: »Das muss so um das Jahr 2000 gewesen sein.«
Dass Köln beim Thema Radverkehr noch großen Nachholbedarf hat, ist kein Geheimnis: 2020 belegte die Stadt beim Fahrradklima-Test des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs ADFC in der Kategorie >500.000 Einwohner:innen souverän den letzten Platz. Und trotz der täglichen Zeit und Nerven fressenden Staus dominiert in der Domstadt das Auto, 2018 war Köln – gemessen an den Neuzulassungen – sogar die Hauptstadt der SUV.
Köln kann auch anders
Auch wenn die Mobilitätswende heute ihr großes Thema ist, nennt Ute Symanski grundsätzlichere Wurzeln für ihr Engagement: »Ich bin bin davon überzeugt, dass sich möglichst viele Bürger:innen an der nachhaltigen Entwicklung ihres Gemeinwesens beteiligen sollten.« Ein gutes Mittel dafür sieht das Mitglied der Jury für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis in der aleatorischen Demokratie, bei der die Volksvertreter:innen nach dem Zufallsprinzip ermittelt werden, zum Beispiel per Losverfahren.
Ute Symanski erinnert sich, wie nach dem Einsturz des Stadtarchivs im März 2009 ein Ruck durch die Kölner Zivilgesellschaft ging: »Jetzt reicht es, Köln kann auch anders.« Kurz nach der bis heute am Selbstbild der Stadt nagenden Katastrophe gründete sie gemeinsam mit Freund:innen die Wähler:innengruppe DEINE FREUNDE, der sie bis vor kurzem angehörte (seit 2020 KLIMA FREUNDE), die für eine alternative und nachhaltige Politik und mehr Mitbestimmung auf kommunaler Ebene eintrat – und bei den nächsten Kommunalwahlen sofort ein Mandat im Stadtrat eroberte. »Damals habe ich gemerkt: Wir können so viel erreichen, wenn wir uns zusammenschließen und organisieren.«
2014 wurde Ute Symanski in den Rat der Stadt Köln gewählt und vertrat die Gruppe dort zwei Jahre im Verkehrsausschuss. 2015 gründete sie gemeinsam mit einigen Gleichgesinnten den Verein RADKOMM: »Wir wollten eine Kommunikationsplattform schaffen, wo sich die unterschiedlichen Gruppen – Radler:innen genauso wie Fusgänger:innen, Autofahrer:innen, Politiker:innen oder Verwaltungsvertreter:innen – auf Augenhöhe begegnen und respektvoll miteinander über die Zukunft des Verkehrs in sprechen. Aus anderen Städten wussten wir, dass die Probleme überall die gleichen sind.« Im gleichen Jahr fand in Köln unter dem Motto »Radfahren macht reich« der erste RADKOMM-Kongress statt, dem bis heute fünf weitere folgten.
Von RADKOMM zu Aufbruch Fahrrad
Der zweite RADKOMM-Kongress im Juni 2016, der bereits von der Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen gefördert wurde, lieferte die Initialzündung für die Volksinitiative. »Dort gab es eine Arbeitsgruppe zum Volksentscheid Fahrrad in Berlin. Wir dachten sofort: So etwas brauchen wir auch für NRW!« Jetzt galt es zu mobilisieren – und das geschah überaus erfolgreich, wie die rund 207.000 Stimmen und die bis heute 215 Vereine und Verbände im Aktionsbündnis Aufbruch Fahrrad belegen.
Hatte sie jemals Zweifel, die erforderliche Anzahl Unterschriften zu bekommen? »Nein, ich war sicher, dass wir es schaffen.« So war es auch keine Hybris, als Ute Symanski die Forderungen von Aufbruch Fahrrad am 2. Oktober 2019 vor dem Verkehrsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags »stellvertretend für viele Menschen in Nordrhein-Westfalen« vorstellte und Aufbruch Fahrrad als ein »Ermutigungsprogramm für die politischen Vertreterinnen und Vertreter des Landes« präsentierte.
Die kritische Masse
Aus ihrem Alltag in einem multikulturellen Kölner Viertel weiß die 51-Jährige, dass ihre Heimatstadt nicht nur ein Verkehrs-, sondern auch ein grundsätzliches Umweltproblem mit sozialen Folgen hat. »Es gibt in Köln kaum hochwertige Grünflächen. Und die Dominanz des Autos im öffentlichen Raum nimmt den Menschen wahnsinnig viel: Luft, Ruhe, Bewegungsfreiheit, Kontaktmöglichkeiten.« Es fehle der Raum für nachbarschaftliche Begegnungen, wie er etwa bei dem seit 2013 jährlich in einem anderen Kölner Stadtteil vom Netzwerk Agora organisierten »Tag des guten Lebens« erprobt wird. »Seitdem dieser Tag bei uns in Ehrenfeld stattgefunden hat, habe ich einen viel besseren Kontakt zu meinen Nachbar:innen.«
Traditionell gilt das Auto in Deutschland als Symbol individueller Freiheit. »Nach meiner Ansicht gibt es in Deutschland tatsächlich keine Stadt, die wirklich fahrrad- und fußverkehrsfreundlich ist«, sagt Ute Symanski. Woher nimmt sie ihren Optimismus für eine Verkehrswende? »Ich denke, gerade beim Thema Verkehr sind die Menschen nie ernsthaft eingeladen worden, anders zu denken und zu handeln.« Noch dominiere das Auto den öffentlichen Diskurs, aber das könne sich ändern: »Als Soziologin weiß ich um die Bedeutung der 3,5 Prozent – das ist die kritische Masse derer, die es braucht, um einen grundlegenden Wandel einzuleiten. Und daran arbeiten wir.«
Potenzial für Veränderungen
Als Organisationssoziologin und Coach wird Ute Symanski gerufen, wenn es in den Führungsebenen von Hochschulen oder kommunalen Verwaltungen Probleme gibt. Was fasziniert sie an ihrem Job? »Es ist total spannend, mit oft sehr unterschiedlichen Individuen an der Verbesserung von Strukturen zu arbeiten. Wenn das klappt, haben beide gewonnen, die einzelnen Menschen genauso wie das gesamte System.«
Die Analogie zu ihrem ehrenamtlichen Engagement liege auf der Hand: »Gerade größere Organisationen, wie etwa Hochschulen oder Stadtverwaltungen, haben oft Vorbehalte gegen strukturelle Veränderungen. Und genauso ist es bei der Verkehrspolitik.« Haben wir noch nie gemacht, geht nicht? »Genau. Viele unterschätzen das kreative Potenzial, das in unseren Köpfen vorhanden ist. Und das entfesselt werden kann, wenn Menschen zusammen an gemeinsamen Zielen arbeiten. Und ich bin davon überzeugt, dass dies auch für eine nachhaltige Verkehrsentwicklung gilt.«
Das Verkehrsgesetz ist verabschiedet, was kommt jetzt? »Wir werden weiter mit kreativen Ideen für den Kulturwandel werben, uns für eine nachhaltige Verkehrspolitik und eine breitere Beteiligung aller Bürger:innen engagieren.« Dabei wird Ute Symanski wertschätzend und respektvoll auch gegenüber anderen Meinungen agieren: »Ich kann aus Überzeugung gar nicht anders.« Ihre Erfahrungen in Beruf und Ehrenamt haben sie eines gelehrt: „Andere zu überzeugen gelingt am ehesten, wenn ich die guten Gründe für eine andere Position anerkenne. Und wenn es gelingt, neben den Unterschieden das Gemeinsame in den Mittelpunkt zu stellen.
Weitere Informationen
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