Thomas Kubendorff: Ein Leben für nachhaltige Entwicklung
»Die richtigen Weichen stellen«
Thomas Kubendorff: Ein Leben für nachhaltige Entwicklung
Nachhaltigkeit ja. Aber nur, wenn sie keine Umstände macht. So lautet das ernüchternde Fazit einer repräsentativen Studie, mit der die Zurich Versicherung im Jahr 2020 das Verhalten der Bürger:innen in Deutschland bei Einkäufen, Mobilität, Alltag und Freizeit sowie Geldanlagen und Versicherungen untersucht hat.
Klimawandel, Flächenverbrauch, Artensterben, wachsende soziale Ungleichheit – die Herausforderungen sind längst bekannt. Bei der UN-Generalversammlung 2015 hatten sich 193 Staaten auf 17 nachhaltige Entwicklungsziele geeinigt, mit denen die soziale, ökologische und ökonomische Dimension von Nachhaltigkeit verknüpft werden sollen. Wir wissen, was zu tun ist, handeln aber nur selten danach. Woher kommt dieses sogenannte »Mind-Behavior-Gap« und wie ist es zu überwinden?
»Wir müssen in uns gehen und überlegen, wie wir unser Leben umstellen«, lautet die Antwort von Thomas Kubendorff, »und zwar auf allen Ebenen.« Das betreffe jede und jeden von uns, aber auch und vor allem Unternehmen, Politik und Verwaltung, sagt der 65-jährige Jurist, der sein gesamtes berufliches und politisches Leben dem Thema Nachhaltigkeit gewidmet hat – vom Start in Heiligenhaus über die Zeit als Landrat im Kreis Steinfurt bis zu seiner heutigen Funktion als Nachhaltigkeitsbotschafter der Landesarbeitsgemeinschaft Agenda 21 NRW (LAG 21 NRW).
Die Anfänge
Sein Schlüsselerlebnis hatte Thomas Kubendorff als CDU-Ratsmitglied in seiner rund 30.000 Einwohner:innen zählenden Heimatstadt Heiligenhaus. Kubendorff, der aus einer christlich geprägten Familie stammt und dessen Vater Eugen lange Jahre Ratsmitglied und Vorsitzender der Heiligenhauser Caritasgesellschaft gewesen war, musste mit ansehen, wie alte Alleebäume für die Verbreiterung einer Straße gefällt und wertvolle historische Gebäude abgerissen wurden – »alles andere als nachhaltig«. Immerhin sei es ihm gelungen, die landschaftszerstörende Erweiterung eines Gewerbegebiets zu verhindern. Das konsequente Eintreten für seine Überzeugungen verschaffte dem politischen Novizen einigen Ärger: »Ich habe mich mit meiner Fraktion so richtig in die Wolle gekriegt.«
1988 wurde Thomas Kubendorff Beigeordneter der Stadt Hattingen. Und kurz nachdem 1992 auf der heute beinahe legendären Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 178 Staaten das Aktionsprogramm der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung, die Agenda 21, verabschiedet hatten, startete die damalige Bundesumweltministerin Angela Merkel in Deutschland eine Kampagne für kommunale Agenda-21-Prozesse.
1998 beschloss der Hattinger Stadtrat, eine Lokale Agenda 21 zu erarbeiten, im gleichen Jahr wurde ein Agenda-Büro eröffnet. Das Interesse am Thema Nachhaltige Entwicklung war groß, so Thomas Kubendorff: »Zu unserer Auftaktveranstaltung kamen fast 400 Bürger: innen.« Das habe sicher auch am Hauptredner gelegen: Klaus Steilmann, Textilunternehmer aus Wattenscheid, Mitglied des Club of Rome und langjähriger Präsident des ehemaligen Fußball-Bundesligisten Wattenscheid 09.
Nachhaltigkeit nimmt Fahrt auf
Dennoch ging es zunächst mühsam voran. »Nachhaltigkeit oder Agenda 21 wurden bis Mitte der 2000er-Jahre mehr oder weniger belächelt«, erzählt Thomas Kubendorff: »Bei mir sprachen einige von einem persönlichen Hobby, was es nicht leichter machte, dafür Haushaltsmittel zu bekommen.« Doch nachdem er 1999 zum Landrat des Kreises Steinfurt gewählt wurde, nahm das Thema so richtig Fahrt auf. »Die Bedingungen waren günstig, es gab bereits ein Agendabüro mit guten Leuten und diverse Vorarbeiten.«
Gemeinsam mit Ulrich Ahlke, dem Leiter des Steinfurter Agendabüros, führte Thomas Kubendorff die relevanten Akteure in einem »Zukunftsspindel« genannten großen Workshop zusammen, erarbeitete Nachhaltigkeitsperspektiven und trat 2005 mit einem ambitionierten Ziel an die Öffentlichkeit: dem energieautarken Landkreis Steinfurt bis zum Jahr 2050. Eine »totale Provokation«, erinnert sich Thomas Kubendorff, der noch gut die verdutzten Gesichter im Steinfurter Kreistag vor Augen hat: »In der ersten Reihe herrschte betretenes Schweigen, weiter hinten wurde gelacht.«
Utopie wird Realität
Natürlich sollte damit Druck aufgebaut werden, gibt Thomas Kubendorff zu. Allerdings kam der Plan keineswegs aus dem Nichts: »Wir hatten schon einiges in Gang gebracht. Es gab einen Maßnahmenkatalog erneuerbare Energien, einen Leitfaden Biogas für Landwirte und den Verein ›Haus im Glück‹ zur Beratung bei der energetischen Sanierung von Wohngebäuden.« Heute, wo im Landkreis Steinfurt rund 80 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien generiert werden, sei aus der belächelten Utopie längst Realität geworden: »Es wird deutlich schneller gehen.«
Aus der Idee erwuchs das Großprojekt »Energieland Kreis Steinfurt 2050«. »Da haben sich Akteure aus Wirtschaft, Banken und Sparkassen, Landwirtschaft, Handwerkerschaft, Windpark- und Biogasbetreibern zusammengefunden, um den Kreis durch den Ausbau der erneuerbaren Energien und durch konsequente energetische Sanierung energieautark zu machen.« 2014 gab es dafür den Deutschen Nachhaltigkeitspreis ZeitzeicheN. Es sei dem Kreis Steinfurt gelungen, so die Laudatio, »durch kontinuierliche Netzwerk-, Struktur- und Projektarbeit die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit dauerhaft positiv zu besetzen.«
Erfolge …
2015 trat Thomas Kubendorff nicht mehr zur Wahl des Steinfurter Landrats an. »Die Arbeitsbelastung hatte mich an meine Grenzen gebracht – und wenn ich etwas mache, will ich es richtig und mit aller Kraft machen.« Das hatte er offensichtlich, wenn man den unzähligen Komplimenten auf seiner Abschiedsfeier am 2. Oktober 2015 in Kloster Gravenhorst Glauben schenken mag. Der damalige Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Karl-Josef Laumann, fasste die Leistung des scheidenden Landrats in einem Satz zusammen: »Ein Politiker, der Fortschritt und Nachhaltigkeit miteinander verbinden kann.«
Fragt man Thomas Kubendorff, aber auch Mitstreiter:innen nach den Erfolgen seiner Steinfurter Zeit, kommt so einiges zusammen. Ihm fällt vor allem die Umsetzung des Windmasterplanes und die »Bürgerwindparkstrategie« ein, die flächendeckend mit Unterstützung aller 24 Gemeinden im Landkreis realisiert wurde. »Wir haben präzise geplant und die Bürger:innen nicht nur mitgenommen, sondern auch beteiligt. Dies hat dazu geführt, dass das konfliktträchtige Thema Windenergie (fast) geräuschlos ablief, trotz der Errichtung von mittlerweile 230 Windenergieanlagen.«
Zwei weitere Aspekte sind Thomas Kubendorff im Rückblick besonders wichtig. So habe es der Landkreis geschafft, durch den Verzicht auf neue Schulden bei gleichzeitigem Schuldenabbau ab 2010 eine nachhaltige Haushaltspolitik zu betreiben. Und er betont das Thema Ressourcen: »Es ist uns gelungen, das Thema Nachhaltigkeit so zu installieren, dass eine Umkehr nicht mehr möglich ist. Mehr als 20 Mitarbeiter:innen in einem Amt für Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind landesweit sicher ein Novum.«
Potenzial ist vorhanden
Das enorme Potenzial engagierter Menschen in den Kommunen ist auch das zentrale Fazit einer Tour, die den LAG-Nachhaltigkeitsbotschafter im Rahmen des Projekts »Gemeinsam für Nachhaltigkeit« durch 16 nordrhein-westfälische Kommunen führte: »Wenn ihnen das Thema nahe gebracht wird, zum Beispiel durch einen Workshop mit externen Expert:innen, sind viele Bürger:innen schnell begeistert. Schließlich können sie im besten Fall etwas aufbauen und mitgestalten.«
Als Lehrbeauftragter für Nachhaltige Entwicklung an zwei Fachhochschulen begegnet Thomas Kubendorff motivierten und kompetenten Studierenden, die für Nachhaltige Entwicklung brennen. Und er hat schon eine Idee für deren künftiges Einsatzgebiet: »Wir brauchen flächendeckend Nachhaltigkeitsmanager:innen in den Kommunen, die das Thema voranbringen.« Das entscheidende Hindernis dabei kennt Kubendorff auch: »Nachhaltige Entwicklung braucht mehr Geld und mehr Menschen – nicht einfach in Zeiten kommunaler Finanzkrisen, auch und gerade in NRW.«
Blick in die Zukunft
Corona setzt die ohnehin schon klammen Kommunen zusätzlich unter Druck. Und dennoch sieht Thomas Kubendorff in der Pandemie auch Chancen. So könnten die Nachhaltigkeitsdebatten konzeptionelle Antworten auf die Corona-Krise und die daraus resultierenden Fragen liefern: »Wie entwickeln wir resiliente, also widerstandsfähige und belastbare Gemeinwesen? Wie soll die Welt aussehen, in der wir künftig leben wollen? Wir wären ziemlich dumm, wenn wir jetzt nicht die richtigen Weichen stellen würden.«
Die Fragen nach dem richtigen, dem nachhaltigen Leben bestimmen auch zunehmend seine aktuelle Tätigkeit als selbstständiger Politikberater. »Das Thema nimmt immer mehr Fahrt auf«, ist sich Kubendorff sicher. Allerdings müsse das Tempo deutlich erhöht werden: »Wenn wir so weiter machen, wird das nix.« Und es bedürfe mutiger Entscheider:innen in der Politik, die über Legislaturperioden hinaus denken: »Ohne Einschnitte geht es nicht, viele Menschen werden Sturm laufen.«
Wir alle müssen raus aus unserer gewohnten Komfortzone, resümiert Thomas Kubendorff. Er selber bemüht sich mit seiner Familie um Glaubwürdigkeit: »Wir kochen überwiegend mit Bio-Produkten, reduzieren den Fleischkonsum, achten darauf, keine Lebensmittel zu verschwenden und erledigen innerorts alles mit dem Fahrrad. « Wie Nachhaltigkeit zu einem allgemein akzeptierten Leitbild werden könne? »Es wäre schon sehr viel gewonnen, wenn Nachhaltige Entwicklung als Schulfach in den Abschlussklassen der weiterführenden Schulen eingeführt würde.«
Weitere Informationen
=> LAG 21
=> Übersichtsseite Buch: Mehr Mut zur Nachhaltigkeit
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