Marie Heitfeld: Nachhaltigkeit und Psychologie

Hier klicken, um den Inhalt von YouTube anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube.

»Transformation gestalten lernen«

Marie Heitfeld: Nachhaltigkeit und Psychologie

Den ökologischen Fußabdruck kennen die meisten von uns mittlerweile, als guten Freund unseres schlechten Gewissens. So wertvoll diese Maßeinheit für die Einschätzung der Auswirkungen unseres Handelns auf die natürlichen Lebensgrundlagen ist, so sehr zeigt sie auch auf, wie begrenzt die Wirkung einer individuell nachhaltigen Lebensweise in nicht-nachhaltigen Strukturen ist. Das kann Frust und Resignation erzeugen, weiß die Umweltpsychologin Marie Heitfeld, die bei der Nichtregierungsorganisation Germanwatch im Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) arbeitet. Mithilfe psychologischer Erkenntnisse entwickelt sie Konzepte und Materialien, die uns angesichts großer globaler Herausforderungen zu aktivem Handeln begeistern und befähigen.

Ein solches Konzept ist der Handabdruck von Germanwatch. Das ist eine Weiterentwicklung des vom Centre for Environment Education in Indien entwickelten Hand Print, der veranschaulicht, was das Individuum positiv zu einer nachhaltigeren Lebensweise beitragen kann. Die von der Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen geförderte Germanwatch-Variante bezieht sich nicht auf das individuelle Konsumverhalten oder die jeweilige Lebensführung, sondern darauf, was jede Person an den sie umgebenden Rahmenbedingungen positiv beeinflussen kann. »Wir wollen Interessierte und Engagierte über ihr individuelles Konsumverhalten hinaus dazu ermutigen, sich politisch einzumischen und die Strukturen, in denen individuelles Handeln stattfindet, in Richtung Nachhaltigkeit zu verändern«, so Marie Heitfeld. Oder einfacher und kürzer: »Aktiv werden mit einem dauerhaft verankerten, bleibenden Effekt.«

Nachhaltigkeit als Standard

Dass wir uns persönlich nachhaltiger verhalten, wenn wir weniger Auto fahren, regionale und ökologisch produzierte Nahrungsmittel kaufen oder die Heizung nicht bei offenem Fenster hochdrehen, leuchtet sofort ein. Damit reduzieren wir unseren individuellen Fußabdruck. Doch wie und wo kann ich einen spürbaren Effekt zur nachhaltigen Veränderung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erzielen? »Überall in meinem Umfeld«, sagt Marie Heitfeld und nennt ein Beispiel: »Es ist wunderbar, wenn ich bei meiner privaten Altersvorsorge auf nachhaltige Geldanlagen setze. Noch besser ist es, wenn ich gemeinsam mit anderen meinen Arbeitgeber davon überzeuge, die betriebliche Altersvorsorge auf nachhaltige Anlageformen umzustellen.«

Ähnlich funktioniert es beim Thema Ernährung: »Ich kann zur Schule, zur Uni oder zum Arbeitsplatz täglich meine ökologisch und fair erzeugten Nahrungsmittel mitbringen. Oder ich kann, wieder gemeinsam mit möglichst vielen Gleichgesinnten, dafür werben, dass die Kantine auf nachhaltige Lebensmittel umstellt.« Wichtig sei, dass Nachhaltigkeit zum Standard werde, sagt Marie Heitfeld und belegt das an einem Beispiel aus dem schweizerischen St. Gallen, wo der kommunal angebotene Standardstrom lange Zeit aus einem Mix aus Kohle und Atom bestand. Im Rahmen eines von der Universität St. Gallen begleiteten Projekts stellte die Stadt die Standardoption, den sogenannten »default«, auf Ökostrom um – mit der Option, zum geringfügig günstigeren alten Strommix zurückzukehren. »Nur sehr wenige Menschen haben diese Möglichkeit wahrgenommen, fast alle sind beim neuen ökologischen Standardangebot geblieben.« Genau ein solches Handabdruck-Engagement begleiten und unterstützen Marie Heitfeld und ihre Kolleg:innen bei Germanwatch mit ihrer Bildungsarbeit.

Aktiv werden

Marie Heitfeld hat Psychologie studiert und sich bereits während ihres Studiums engagiert – zunächst zum Thema Bildungsgerechtigkeit, später dann mehr und mehr für Nachhaltigkeits- und Klimapolitik. »Mich hat insbesondere interessiert, was die Psychologie zu den notwendigen Transformationsprozessen beisteuern kann.« Und welche Antworten sie auf die Frage gibt, warum es uns trotz des Wissens über Klimakrise und Biodiversitätsverlust so schwerfällt, unser Verhalten zu ändern, selbst aktiv zu werden. Während ihres Masterstudiums hat sie sich dann auf die Umweltpsychologie konzentriert, explizit auf die Wechselwirkungen Mensch-Umwelt: »Welchen Einfluss üben wir auf unsere Umwelt aus, und wie wirkt die auf uns zurück? Wie können wir zum Beispiel Erkenntnisse über die Klimakrise auf eine Art und Weise kommunizieren, die zwar die Dringlichkeit die Lage deutlich macht, aber gleichzeitig zum Handeln ermutigt, statt Resignation zu erzeugen?«

Die Kombination aus psychologischen Erkenntnissen und gesellschaftlichem Engagement sollte es auch im Beruf sein. Marie Heitfeld schaute sich um und landete einen Treffer: »Germanwatch passt da schon ziemlich gut.« An ihrem Arbeitgeber schätzt sie vor allem den ganzheitlichen Blick auf verschiedene Herausforderungen und politische Lösungsansätze, von Menschenrechten über Klimaschutz, Unternehmensverantwortung bis hin zur Übernutzung unserer natürlichen Ressourcen. Daneben engagiert sie sich im »Wandelwerk«, einem Team von Psycholog:innen, die sich über die Initiative »Psychologie im Umweltschutz« kennengelernt haben und jetzt in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv sind.

 

Reaktionen auf die Klimakrise

Woraus schöpft sie ihre Motivation? »Für mich gehören Klimaschutz und Klimagerechtigkeit untrennbar zusammen.« Sie sehe sich als Weltbürgerin und empfinde ein Verantwortungsgefühl gegenüber zukünftigen Generationen und Menschen aus dem globalen Süden, die, obwohl sie wenig dazu beigetragen haben, am meisten unter den Folgen des Klimawandels zu leiden hätten: »Wenn ich die Klimakrise kognitiv und emotional wirklich an mich heran lasse, finde ich es schwer, mich nicht für stärkeren Klimaschutz einzusetzen.« Vor allem aber motiviere sie das gemeinsame und sich strategisch ergänzende Engagement, das sie zusammen mit anderen Menschen, Gruppen und Nichtregierungsorganisationen erlebe.

Sie erlebe jedoch auch, wie Menschen angesichts zunehmender Erkenntnisse über die Klimakrise und einem nicht nachhaltigem eigenen Handeln in ein Dilemma geraten: Wenn eigene Werte und eigenes Handeln dann nicht mehr so richtig zusammenpassen, entstehe ein unangenehmes Spannungsgefühl, das Psycholog:innen als »kognitive Dissonanz« bezeichnen. Um dieses aufzulösen, können wir entweder unser Verhalten oder aber unsere Interpretation der Situation anpassen. Letzteres könne dann zum Beispiel zu einer resignierenden Haltung führen – so höre man häufig, es sei sowieso schon alles zu spät oder das eigene Verhalten mache sowieso keinen Unterschied. »Angesichts der existentiellen Klimakrise hilft eine solche ›Coping-Strategie‹ zwar kurzfristig beim Umgang mit den eigenen Emotionen«, betont die 30-Jährige. »Das führt aber natürlich auf Dauer nicht zu den notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen«, so Heitfeld. Es komme darauf an, gemeinsam mit anderen wirkungsvoll zu handeln – »solche Erfahrungen stärken sowohl unsere eigene Resilienz angesichts von Angst und Ohnmachtsgefühlen als auch die Resilienz der Gesellschaft gegen elementare Krisen und Bedrohungen.«

Motivation zum Engagement

Doch welche Faktoren führen dazu, dass sich Menschen engagieren? Nachdem die Umweltpsychologie lange Zeit den Fokus auf unser individuelles Konsumverhalten gelegt habe, sei diese Frage in den letzten Jahren zunehmend in den Vordergrund gerückt, sagt Marie Heitfeld. Ein wichtiger Faktor sei die soziale Identität: »Welcher Gruppe fühlen wir uns zugehörig?« Abhängig von den Werten, die in diesen Gruppen geteilt werden, würden wir unsere Umwelt und auch mögliche Handlungsoptionen wahrnehmen. »Wenn viele Menschen in meinem Umfeld sagen, wir müssen etwas tun, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch ich etwas tue.«

Als weiteren Punkt nennt sie die Wirksamkeitserwartung: »Kann ich mit meinem Engagement wirklich etwas bewirken?« Deswegen sei es so wichtig, über die individuellen Verhaltensänderungen hinaus größere, kollektivere Optionen aufzuzeigen – wie mit dem Handabdruck von Germanwatch.

Forschung aus der politischen Psychologie beschäftige sich zudem mit der sogenannten Gerechtigkeitssensibilität als einem wichtigen Einflussfaktor für politische Einstellungen: »Reagiere ich vor allem sensibel auf Ungerechtigkeiten mir selbst gegenüber oder bin ich stärker sensibel für Ungerechtigkeiten gegenüber anderen Personen oder Gruppen«, benennt Marie Heitfeld die dahinterstehende Frage. Dies könne einen Einfluss darauf haben, inwiefern man Klimaschutzmaßnahmen als gerecht wahrnehme und sich für Transformationsbemühungen oder sogar aktiv dagegen engagiere.

Kommunikation schafft Akzeptanz

Spätestens seitdem die an der kalifornischen Eliteuniversität lehrende Kognitionswissenschaftlerin Elisabeth Wehling im Jahr 2016 ihr Buch »Politisches Framing« veröffentlicht hat, ist die Bedeutung von Kommunikation für die produktive Bewältigung von Herausforderungen wie der Klimakrise auch über Expertenkreise hinaus bekannt. Marie Heitfeld weist darauf hin, dass passende »Framings« für verschiedene Zielgruppen mit unterschiedlichen Werten und Perspektiven sehr unterschiedlich aussehen können: »Wir müssen bedenken, dass Menschen unterschiedliche Lebensrealitäten haben und selbst die gleichen Fakten oft anders wahrnehmen.« Die Psychologie versuche zu verstehen, warum viele Menschen Angst vor Veränderung haben beziehungsweise welche Bedürfnisse jeweils dahinter stünden. »Erst dann können wir sie im Sinne einer gemeinsamen Problemlösung ansprechen und mitnehmen.«

Die verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnisse rund um gesellschaftliche Veränderungsprozesse könnten Nichtregierungsorganisationen und Nachhaltigkeitsakteure in Politik und Wirtschaft noch stärker nutzen, um zum Beispiel Kampagnen und Kommunikation wirksamer zu machen. Und es bedürfe mehr Räume und Formate, wo wissenschaftliche Erkenntnisse in der Praxis ausprobiert und umgesetzt werden könnten.

Marie Heitfeld verweist auf positive Erfahrungen während ihrer Studienzeit an der niederländischen Universität Groningen: »Dort haben wir regelmäßig anwendungsbezogene Fragestellungen zu nachhaltigen Veränderungen mit Partnern aus Verwaltung oder Politik aus psychologischer Perspektive bearbeitet.« Sie selbst plant derzeit ebenfalls Projekte an der Schnittstelle von sozial- und umweltpsychologischer Forschung und Akteuren aus der Praxis und versucht in ihrer Bildungsarbeit bei Germanwatch weiterhin, möglichst viele Menschen bei der Vergrößerung ihrer Handabdrücke für eine nachhaltige Gesellschaft zu unterstützen.

 

Weitere Informationen

=> https://www.germanwatch.org/de/handprint

=> Förderprojekt Z-5521 Handwerkszeug für Zukunftshandeln: Akteure gesellschaftlichen Wandels fördern und begleiten

=> Übersichtsseite Buch: Mehr Mut zur Nachhaltigkeit

 

Konferenz: Handwerkszeug für Zukunftshandeln

 

UNESCO BNE 2030 – Bildung neu denken