„Jede und jeder kann ein Stück Regenwald retten“
„Jede und jeder kann ein Stück Regenwald retten“
Interview mit Martina Schaub, Vorständin bei der Tropenwaldstiftung Oro Verde, die auf dem 13. Deutschen Nachhaltigkeitstag mit Unterstützung der Stiftung zum Thema „Weltweit gegen Waldsterben – wie nachhaltige Fortwirtschaft gelingen kann“ diskutiert hat.
Martina Schaub, Sie haben auf dem Deutschen Nachhaltigkeitstag virtuell zur Lage der Wälder debattiert. Wie war dieses Erlebnis?
Naja, ich habe ja gar nicht virtuell diskutiert, sondern sehr real. Aber das Erlebnis in einem großen Saal vor einer nahezu leeren Kulisse zu sitzen, das hatte schon etwas gespenstisches. Vor allem, wenn man den Deutschen Nachhaltigkeitstag kennt und weiß, dass normalerweise mehrere hundert Menschen im Plenum sind. Aber die eigentliche Diskussion dauerte auch nur 10 Minuten und in diesem Moment fokussiert man sich darauf seine Botschaften zu kommunizieren und blendet die anderen Dinge aus.
Sind 10 Minuten nicht viel zu kurz dafür?
Um tatsächlich nur eine Botschaft rüberzubringen reichen 10 Minuten. Wenn ich mit Menschen ins Gespräch kommen will und sie überzeugen will und eine echte Diskussion stattfinden soll, dafür reichen 10 Minuten natürlich nicht.
Halten Sie das digitale Format für zukunftsweisend oder sollten wir lieber zu realen Veranstaltungen zurückkehren?
Es kommt darauf an, was wir wollen. Wenn man seine Themen platzieren will, reicht das digitale Format aus. Für mich ist der Deutsche Nachhaltigkeitstag aber ein Ort der Begegnung. Das macht den Reiz und den Charakter der Veranstaltung aus. Beispielsweise kommen Vertreterinnen und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen in den Dialog mit Abgesandten von internationalen Konzernen. Solche Gespräche können sehr wertvoll sein, weil beide Partner auf so einer Veranstaltung dialogbereit sind und sich austauschen können. Bei einem digitalen Format entfällt das komplett. Deshalb ja, ich vermisse reale Veranstaltungen schon sehr.
Wie ist die Lage der Wälder weltweit?
Die Landflächen der Erde sind zu 31 % mit Wäldern bedeckt. Jedoch entfallen auf sie etwa 80 % der terrestrischen Biodiversität. Das zeigt: Wälder haben für die Artenvielfalt eine extrem hohe Bedeutung. Die weltweite Entwaldung und Waldschädigung schreitet jedoch in einem alarmierenden Tempo voran. Seit 1990 sind etwa 420 Millionen von insgesamt vier Milliarden Hektar Wald verloren gegangen. Davon entfallen 80 Millionen Hektar auf Urwälder, die beim Schutz der Biodiversität eine zentrale Rolle einnehmen – kurz gesagt, es sieht nicht gut aus. Zumal rund 75 % der weltweiten Entwaldung auf die Umwandlung von Tropenwald in landwirtschaftliche Nutzflächen zurückzuführen sind. Wesentliche Ursachen sind die steigende Nachfrage nach Soja, Palmöl und Bodenschätzen.
Kann nachhaltige Forstwirtschaft gelingen?
Grundsätzlich ja, sie kann gelingen. Aber hier ist in weiten Bereichen noch viel Umdenken erforderlich, bis es uns auf breiter Front gelingt, Wälder wirklich nachhaltig zu bewirtschaften. Denn Wälder sind komplexe Ökosysteme und dürfen nicht als reine Holzplantagen betrachtet werden.
Oro Verde hat sich auf den Schutz des Tropenwaldes spezialisiert. Welche Entwicklung beobachten Sie in den letzten Jahren?
Leider müssen wir sagen, dass der Negativtrend ungebrochen ist. Aktuell erreichen uns Zahlen aus dem Amazonasgebiet in Brasilien. Demnach wurden zwischen August 2019 und August 2020 rund 11.000 Quadratkilometer Regenwald zerstört – eine Fläche, fast so groß wie Schleswig-Holstein. Doch es gibt auch positive Entwicklungen. So ist das Thema Regenwaldschutz inzwischen bei vielen Bürgerinnen und Bürgern angekommen. Mit der Kampagne #Together4Forests, die auch Oro Verde unterstützt, haben wir bereits mehr als eine Million Menschen erreicht. Sie haben sich im Rahmen einer EU-Konsultation für eine gesetzliche Regelung für entwaldungsfreie Lieferketten eingesetzt. Bis 10. Dezember 2020 kann sich übrigens jede Person noch daran beteiligen.
Was kann jede und jeder einzelne von uns außerdem tun, um Wald zu schützen?
Jede und jeder kann in seinem Alltag ein Stück Regenwald retten. Besonders leicht ist es beim Thema Papier: Hier sollte man unbedingt auf 100 % Recyclingpapier zurückgreifen, denn für Frischfaserpapier werden immer noch Bäume gefällt und artenarme Eukalyptusplantagen angelegt. Dabei ist Recyclingpapier besser als sein Ruf! Zudem tragen wir mit unserer Ernährung ein großes Stück zum Regenwaldschutz bei. Hier können wir zum Beispiel häufiger auf vegetarische Gerichte zurückgreifen. Und wenn wir Fleisch konsumieren, dann in Bio-Qualität und aus der Region. Denn: Sojaimporte, vor allem aus Brasilien, haben ihren Anteil daran, dass mehr und mehr Tropenwald vernichtet wird. Ein zusätzlicher Tipp: Wer häufiger aufs Rad statt ins Auto steigt, spart nicht nur Erdöl und leistet einen Beitrag im Kampf gegen die Klimakrise. Denn auch Palmöl landet in Form von Biodiesel aktuell noch in unserem Tank. Daher gibt es gleich mehrere gute Gründe das Auto stehen zu lassen!
Gewinnt das Thema Regenwaldschutz an Zulauf?
Ja, auf jeden Fall. Denn Regenwaldschutz leistet auch einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz und zum Schutz der Biodiversität. Die Medien aber auch viele Bürgerinnen und Bürger zeigen ein wachsendes Interesse an diesen Themen. Wir freuen uns, wenn wir dieses Interesse umwandeln können, in sich aktiv für den Schutz der Tropenwälder einzusetzen. Zudem sind mehr Menschen offen für den Regenwaldschutz und machen sich Gedanken, was und wie sie konsumieren. Dies gilt übrigens auch für unsere Regenwaldschutzprojekte (https://www.regenwald-schuetzen.org/unsere-projekte/regenwald-schutzprojekte) in den Tropenländern. Auch hier nehmen die Anfragen zu, die sich für den Schutz der Wälder und für eine nachhaltige Landwirtschaft interessieren. Das macht Hoffnung auf einen langfristigen und tiefgreifenden Wandel!
Weitere Informationen
=> Mehr zur Arbeit von Oro Verde: www.regenwald-schuetzen.org
=> Kampagne #Together4Forests: www.regenwald-schuetzen.org/unsere-projekte/oeffentlichkeitsarbeit/together4forests
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