Welternährung: Wie lässt sich Lebensmittelsicherheit und Nachhaltigkeit verbinden?
Interview: Welternährung in Kriegszeiten – wie lässt sich Lebensmittelsicherheit und Nachhaltigkeit wieder verbinden?
Interview mit Manfred Belle, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender unserer Stiftung, zum Thema Welternährung.
Nach Angaben der Welthungerhilfe erhöhte sich 2021 im Vergleich zum Vorjahr die Zahl der unterernährten Menschen – ein Indikator für chronischen Hunger – weltweit von 811 auf 828 Millionen. Das sind über 10 % der Menschheit. Wie lösen wir diese Herausforderung ohne Ernährungssicherheit gegen Nachhaltigkeit auszuspielen?
Manfred Belle: Die Frage ist sehr komplex und um Antworten zu finden, müssen wir viele Aspekte berücksichtigen, die je nach Region oder Kontinent unterschiedlich sind. Fakt ist, dass der Druck auf die globale Ernährungssicherheit stark zugenommen hat. Zusätzlich zu den Herausforderungen der Klimakrise und der Corona-Pandemie bedroht seit Februar 2022 auch der Krieg in der Ukraine die weltweite Lebensmittelversorgung. Um differenzierte Antworten zu finden, hatten wir als Stiftung im Dezember 2022 auf dem Kongress des Deutschen Nachhaltigkeitspreis ein Dialogforum zum Thema angeboten und die Expert:innen Dr. Heide Naderer (Vorsitzende des Naturschutzbund Deutschland (NABU) Nordrhein-Westfalen e.V.), Julius Palm (Stellvertretender Geschäftsführer und Leiter Strategie und Marke von followfood GmbH) und Prof. Dr. Regina Birner (Professorin für „Sozialer und institutioneller Wandel in der landwirtschaftlichen Entwicklung) von der Universität Hohenheim eingeladen.
Und wurden Antworten gefunden?
In den 60 Minuten, die wir zur Verfügung hatten, konnten wir längst nicht alle Aspekte diskutieren, aber es gab durchaus einige Antworten. So setzt sich Dr. Heide Naderer vom NABU NRW für eine deutliche Kehrtwende in der Landwirtschaftspolitik ein. Aus Sicht des Umweltverbandes ist beispielsweise der anhaltende Flächenverbrauch für Siedlungen, Verkehr und Gewerbe ein großes Problem. Denn damit gehen Böden für die Produktion von Lebensmitteln und zur Erwirtschaftung von landwirtschaftlichem Einkommen verloren. Flächenversiegelung führt zum Verlust der CO2-Speicherfähigkeit des Bodens und hat negative Folgen für Grundwasser und Klima. Letztendlich verschwindet aber auch Kulturlandschaft und Lebensraum für wildlebende Arten und die Erholung des Menschen. Zudem nimmt die Intensiv-Landwirtschaft in Nordrhein-Westfalen weiter zu. So wurde der intensive Maisanbau zur Nutzung von Biogasanlagen rapide ausgeweitet mit verheerenden Auswirkungen auf die Biodiversität. Aus Sicht des NABU ist Lebensmittelsicherheit und eine Landwirtschaft, die den Artenreichtum und die Biodiversität erhält und verbessert, kein Widerspruch und es gibt viele Möglichkeiten, dies zu vereinen.
Und wie sieht das Julius Palm von followfood?
Followfood war ursprünglich ein Handelsunternehmen, das Fisch importierte. Im Jahr 2007 kamen die Inhaber zu der Erkenntnis, dass es mit der industriellen Lebensmittelproduktion so nicht weiter gehen kann. Also haben sie beschlossen, ihr Unternehmen komplett umzukrempeln und nur noch auf nachhaltige und transparente Lebensmittel zu setzen. Daraufhin haben sie als erstes Unternehmen weltweit einen Tracking-Code für Fisch eingeführt, der Herkunft, Produzenten und Produktionswege für Kunden nachvollziehbar offenlegt. Das traf den Nerv vieler Menschen und machte followfish in kurzer Zeit zur erfolgreichsten Tiefkühl-Fischmarke. Inzwischen bietet followfood über 90 nachhaltige Tiefkühl-, Konserven- und Frische-Produkte und hat seine ökologischen Projekte und Aktivitäten ausgeweitet. Dies zeigt, welchen Beitrag Unternehmen leisten können und das Verbraucher:innen durchaus bereit sind, entsprechende Produkte zu kaufen.
Und welche Antworten lieferte Professorin Birner?
Prof. Dr. Regina Birner von der Universität Hohenheim ist in Sachen Welternährung eine viel gefragte Expertin. Sie berät beispielsweise die Bundesregierung oder die Welternährungsorganisation FAO und unternimmt selbst viele Reisen in Länder, die von Hunger betroffen sind. Sie sieht das Potenzial, dass Kleinbauern die Welt ernähren können, wenn die Rahmenbedingungen stimmen und sie beispielsweise die Freiheit haben, über ihre Anbaumethoden selbst zu entscheiden. Ihrer Meinung nach gibt es keine allgemeingültigen Standardlösungen, deswegen sollte ohne Scheuklappen über Lösungen nachgedacht und geschaut werden, welche Technologien in welchem Land und in welcher Region sinnvoll sind. Vor diesem Hintergrund könnten wir ihrer Meinung nach darauf vertrauen, dass Kleinbauern und -bäuerinnen die richtigen Entscheidungen treffen.
Wie geht es weiter?
Wir haben unsere Expert:innen eingeladen, die Diskussion mit uns fortzuführen – und zwar am 17. und 18. März 2023. Dann findet die 26. Eine-Welt-Landeskonferenz (Lako) in der Akademie Franz-Hitze-Haus in Münster statt. In diesem Jahr dreht sich auf der Konferenz alles um das Thema Global nachhaltige Ernährung. Aus Perspektive der Einen Welt widmen wir uns damit einer der größten Herausforderungen dieser Zeit. Unser Ziel auf der Konferenz ist aufzuzeigen, wie wir das Ziel 2 der Sustainable Development Goals (SDGs), „Kein Hunger“, nachhaltig und global gerecht erreichen können.
Zur Person
Manfred Belle ist Politikwissenschaftler und beim entwicklungspolitischen Landesnetzwerk Eine Welt Netz NRW im Programm der Eine-Welt-Promotor:innen unter anderem für die Sustainable Development Goals und für Unternehmenskooperationen verantwortlich. Seit 2018 ist er Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen.
Weitere Informationen
=> Aktivitäten der Stiftung auf dem 15. Deutschen Nachhaltigkeitstag
=> 15. Deutsche Nachhaltigkeitstag
=> Aufruf zur Beteiligung an der 26. Eine-Welt-Landeskonferenz NRW
https://www.sue-nrw.de/deutscher-nachhaltigkeitstag-2022/
Stiftung auf Nachhaltigkeitstag 2020