Heffa Schücking: Keine Kohle für die Kohle

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»Follow the money«

Heffa Schücking: Keine Kohle für die Kohle

»Follow the money« – diese seit der Watergate-Affaire berühmt gewordene Leitlinie für politische Recherchen ist auch das Motto der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald. »Wir machen die Finanzierung von Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen sichtbar und benennen die Verantwortlichen«, beschreibt Heffa Schücking, Gründerin und Geschäftsführerin von urgewald, den strategischen Ansatz ihrer Organisation, in der Kurzform »Naming and shaming.« Und der ist ausgesprochen erfolgreich. So hat urgewald unter anderem maßgeblich dazu beigetragen, dass immer mehr große Banken, Versicherer und Investoren aus der Finanzierung von Unternehmen aussteigen, die mit fossilen Energieträgern ihr Geld verdienen.

»Persönlich freundlich, in der Sache extrem hartnäckig«, laute das Arbeitsprinzip des rund 40-köpfigen urgewald-Teams. Davon können nicht zuletzt die Vorstände jener Aktiengesellschaften ein Lied singen, auf deren Jahreshauptversammlungen Mitarbeiter:innen von urgewald Menschenrechtsverletzungen anprangern oder auf die klimaschädlichen Konsequenzen von Investitionen hinweisen. »Der Pitbull unter den Umweltorganisationen«, dieser Titel eines Berichts über urgewald im Magazin »Futurzwei« trifft es durchaus – aber einer, der nur für die gute Sache beißt. Ein weiterer Vorteil: »Ich habe Verhaltensforschung studiert, kann also gut andere Perspektiven einnehmen und Motive verstehen – auch die von Unternehmen«, sagt Heffa Schücking.

»You don’t follow orders«

1992 stand Heffa Schücking kurz vor dem Abschluss ihres Biologieexamens – und schmiss hin. »Viele haben mich für verrückt erklärt, meine Eltern waren auch nicht begeistert.« Was wie ein spontaner Kurzschluss aussieht, war lange gereift: Während ihres Studiums hatte sich Heffa Schücking intensiv mit Primaten beschäftigt, ein wichtiges und durchaus befriedigendes Thema: »Es hatte etwas nahezu Meditatives, diese Tiere zu beobachten und zu verstehen. « Dennoch war ihr längst klar geworden, dass der Fokus auf den Erhalt der Lebensräume und die dafür notwendigen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gerichtet werden müsse: »Mit kleinteiligen Reparaturen kommen wir nicht weiter.«

Es sollte also um das große Ganze gehen. Und wie so oft spielte der Zufall eine nicht unwesentliche Rolle. »Mein damaliger Freund, ein Australier, und ich hatten uns beide bei Greenpeace International für eine Waldkampagne beworben – er mit dem typisch männlichen Überfliegerbewusstsein, ich eher sachlich und zurückhaltend.« Keine Frage, wer die Stelle bekam. In den Augen ihres Freundes war Heffa Schücking ohnehin keine Frau, die für andere arbeiten könne: »You are german, but you are not good at following orders!«

Gründe deine eigene NGO

Was lag da näher, als eine eigene NGO zu gründen? Und zwar eine, die an den Grundlagen ansetzt, mit Lobbyarbeit und Campaigning gegen die negativen Auswirkungen deutscher Entwicklungsund Wirtschaftspolitik vorgeht und dabei bei den Verursachern ansetzt, also den Investoren. »Seinerzeit eine echte Marktlücke«, sagt Heffa Schücking, die damals bereits international gut vernetzt war – unter anderem durch ihre maßgebliche Arbeit am 1989 veröffentlichten »Rainforest-Memorandum«, das erstmals die deutsche Verantwortung für die Zerstörung von Regenwäldern systematisch belegte. Hierfür wurde sie 1994 als erste Deutsche mit dem international renommierten Goldman-Umweltpreis ausgezeichnet. Sie war also keine Unbekannte, streute ihr Gründungsvorhaben breit und erhielt schon bald einen Anruf von der in Chicago ansässigen »MacArthur Foundation«, die Heffa Schücking und ihren vor allem aus der Regenwaldschutzbewegung stammenden Mitstreiter:innen das Startkapital zur Verfügung stellte.

»Unser größtes Problem zu Beginn war es, einen guten Namen für unsere Organisation zu finden«, erzählt Heffa Schücking. Die letztendliche Wahl sei das Ergebnis eines alkoholisierten Abends am Küchentisch, erinnert sie sich. Schließlich konnte die Gründungsversammlung stattfinden, am 23. Juli 1992 im münsterländischen Sassenberg auf einem seit langem im Familienbesitz befindlichen Grundstück. Neben der urgewald-Zentrale steht dort das Wohnhaus von Heffa Schücking, eine alte Backsteinvilla, die im Jahr 1754 erbaut wurde. Für die 62-Jährige »eine Art Insel, wo man sich wunderbar zurückziehen kann.« Dass sich ab und zu Besucher:innen durch den Garten der offiziellen Sassenberger Touristenattraktion bewegen, stört sie nicht: »Die dürfen sich das gerne anschauen.«

 

Gegner und Erfolge

»Zum Start hatten wir eher einzelne Projekte im Blick, wollten erste Anlaufstelle sein für besonders schwere Menschenrechts- und Umweltverletzungen bei Investitionen in fragwürdige Projekte wie große Minen, Staudämme oder Atomanlagen«, sagt Heffa Schücking. Damit war urgewald auch durchaus erfolgreich, etwa 1998, als die Organisation deutsche Investitionen in einen indischen Staudamm verhinderte, der eines der fruchtbarsten Agrargebiete Indiens überflutet und viele Tausend Menschen obdachlos gemacht hätte. »Ich habe das Projektgebiet mehrfach besucht, mit den Betroffenen und Behörden vor Ort gesprochen und einen detaillierten Bericht erstellt.«

Durch eine sechsjährige Kampagne gegen Banken und Konzerne wie Deutsche Bank, Commerzbank und RWE besiegelte urgewald 2012 das endgültige Aus für das geplante Atomkraftwerk Belene in Bulgarien. 2011 deckte urgewald auf, dass viele Angebote im Rahmen der sogenannten Riester-Rente zur Finanzierung von Streubomben beitragen. Ein Auftritt von urgewald bei der Jahreshauptversammlung der Deutschen Bank im Mai 2011 läutete das Ende der Streumunition-Finanzierung durch das größte deutsche Geldhaus ein. Und am 12. Juni verkündete der damalige Bundeswirtschaftsminister Gabriel das Ende staatlicher Exportkreditgarantien, der sogenannten Hermesbürgschaften, für Atomprojekte – ein Erfolg der urgewald-Kampagne »Ich bin doch kein Atombürger«.

Information is power

2011 richtete sich der Blick von Sassenberg aus auf eine ganze Branche: »Wir haben uns gefragt, wie sich der gewaltige Anstieg der klimaschädlichen Kohleverstromung in den Jahren zuvor erklären ließ«, erinnert sich Heffa Schücking. Auch hier nahm urgewald wieder die großen Finanzinstitute ins Visier – und wurde von denen anfangs nicht ernst genommen: »Einzelne Firmen und Projekte gut und schön – aber aus ganzen Sektoren aussteigen, nie und nimmer.« Ein Irrtum, dabei hätte den Banken und Versicherungen die Hartnäckigkeit und die Faktensicherheit der urgewald-Mitarbeiter:innen längst bekannt sein sollen. »Information is power«, definiert Heffa Schücking die Kraftquelle ihrer Organisation. Und außerdem: »Je größer der Gegner, desto höher unsere Motivation.«

Die Erfolge ließen nicht lange auf sich warten. »Durch unsere Kampagnen haben wir unter anderem den Norwegischen Pensionsfonds sowie die Versicherungskonzerne Allianz, AXA, Generali und Munich Re zu einem Divestment aus der Kohlefinanzierung gebracht und so einem klimaschädlichen Industriezweig mehr als 13 Milliarden Euro entzogen«, erzählt Heffa Schücking.

Noch viel Arbeit

Herzstück und Basis der Kohle-Divestmentkampagnen von urgewald, bei der Anleger:innen aufgefordert werden, ihr Geld nicht in diese Bereiche zu investieren, ist die aktkritisch recherchierte Kohle-Datenbank »Global Coal Exit List«. Sie deckt rund 90 Prozent der weltweiten Kohleproduktion und Kohlekraftwerkskapazität ab. Eine Auswertung der Daten im Februar 2022 führte zu einem ernüchternden Ergebnis: Kommerzielle Banken haben in den vergangenen drei Jahren die globale Kohleindustrie mit über 1,5 Billionen US-Dollar unterstützt, zudem hielten institutionelle Investoren bis November 2021 Aktien und Anleihen der globalen Kohleindustrie im Wert von über 1,2 Billionen US-Dollar.

Es gibt also noch viel zu tun – für urgewald, aber auch für die deutsche Politik, die Heffa Schücking vehement in die Pflicht nimmt: »Unsere Energiewende war zu Beginn durchaus eine Erfolgsgeschichte, doch heute sind die Energiepolitik sowie die Klimaschutzziele und -maßnahmen bei weitem nicht ambitioniert genug.« Und spätestens der von Russland gegen die Ukraine geführte Krieg hätte dem Letzten die Augen öffnen müssen, dass die Abhängigkeit von fossilen Energien nicht nur klimaschädlich, sondern oft auch ein Pakt mit dem Teufel sei: »Auch in Ländern wie Saudi Arabien oder Aserbaidschan werden Menschenrechte auf schrecklichste Weise verletzt.«

Renitenz und Eigensinn

Die Arbeit von urgewald und Heffa Schücking gleicht oft dem Bohren ganz dicker und sehr harter Bretter – ist sie manchmal frustriert? »Nein, die Wirksamkeit unserer Arbeit lässt sich ja gut belegen.« Woher kommt ihr Engagement? »Vielleicht ein Erbe meiner Kindheit und Jugend in den USA – mein Vater hatte in Texas eine Stelle als Astrophysiker angetreten und ich konnte die Auseinandersetzungen um den Vietnamkrieg hautnah miterleben.« Ohnehin sei ihrer Familie ein gewisser Widerspruchsgeist eigen, Heffa Schückings Großvater wurde 1933 nach Machtergreifung durch die Nazis mit Berufsverbot belegt. Folgerichtig sind Heffa Schückings eigensinnige Kater Boris und Sacco nach berühmten Anarchisten benannt: »Vanzetti ist leider überfahren worden.«

Die Lust am Einsatz für eine bessere Welt hat Heffa Schücking an ihre Tochter weitergegeben, obwohl die als Kind oft genervt gewesen sei: »Dann geh doch in deinen Regenwald.« Heute arbeitet Lea Schücking als Produktdesignerin und hat für ein von ihr entwickeltes Verfahren, mit dem Bauschutt in hochwertige Fliesen verwandelt werden kann, unter anderem den Bundespreis ecodesign gewonnen. Eine ästhetisch besonders schöne Art, für mehr Nachhaltigkeit zu arbeiten.

 

Weitere Informationen

=> www.urgewald.org

=> Übersichtsseite Buch: Mehr Mut zur Nachhaltigkeit

 

 

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