Hannah Fischer: Foodsharing, plastikfrei einkaufen & mehr
»Ich bin schon immer aufgestanden«
Hannah Fischer: Foodsharing, plastikfrei einkaufen & mehr
Plastikabfälle sind ein globales Problem. Vor allem das Leben in den Weltmeeren leidet unter den rund 10 Millionen Tonnen, die jährlich in die Ozeane eingetragen werden. Und wir Deutschen sind ein gravierender Teil des Problems, schließlich produziert jeder und jede von uns im Jahr rund 40 kg Plastikmüll. Damit liegen wir deutlich über dem EU-Durchschnitt von etwa 33 kg pro Einwohner:in.
Angesichts dieser Zahlen scheint es noch ein weiter Weg, bis das globale Nachhaltigkeitsziel Nr. 12 »Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen« auch nur annähernd erreicht wird. Was also tun? Wir alle müssen unserer Verhalten grundlegend umstellen, »die globalen Probleme vor Ort anpacken« – sagt Hannah Fischer, die 2019 gemeinsam mit Freund:innen in Dortmund den Verein »Frau Lose« gründete.
»Frau Lose« ist zuallererst »ein Verkaufsort für regionale, ökologische und fair produzierte Sachen«, wie Hannah Fischer präzisiert – absolut plastikfrei. Aber »Frau Lose« ist noch viel mehr: Ein Verteilplatz für übrig gebliebene Lebensmittel, eine Anlaufstelle für engagierte Menschen im bunten Dortmunder Unionviertel und ein außerschulischer Bildungsort mit Workshops zu Themen wie »Woher kommt unser Gemüse« oder »Wie kann ich Müll einsparen«. Und wer mag, kann sich im Laden aus fair und ökologisch produzierten Rohstoffen sein eigenes Deo oder andere nützliche Dinge selbst herstellen. Das passt gut zur Motivation der Menschen hinter »Frau Lose«, sagt Hannah Fischer: »Nicht nur sprechen, sondern machen.«
Viel gelernt
»Es ist ein weiter Weg von der Idee zur Tat« heißt es in Molières »Tartuffe«. Im Fall von »Frau Lose« war der Weg gar nicht so lang, eher führten verschiedene Pfade zum gemeinsamen Ziel. Über den Beginn von Frau Lose gibt es unterschiedliche Versionen. Offiziell lieferte ein BarCamp des bei der Verbraucherzentrale NRW angesiedelten Projekts »MehrWert« im April 2018 die Initialzündung, Mitgründerin Janina Westerkowski erinnert sich hingegen an einen sonnigen Nachmittag mit Freund:innen auf einer großen Picknickdecke im Dortmunder Westfalenpark, wo die Idee eines Unverpacktladens Gestalt annahm.
Neben den zahlreichen Impulsen war und ist sicher der enthusiastische Idealismus aller Beteiligten der zentrale Faktor, der die Eröffnung von »Frau Lose« am 9. September 2019 ermöglichte. Dass es nicht immer einfach ist bestätigt die freiberufliche Moderatorin Hannah Fischer: »Jede:r von uns hat ein Privatleben, einen Job, individuelle Bedürfnisse an Zeit und Geld. Das müssen wir immer wieder neu verhandeln.« Sie habe in den letzten Jahren enorm viel über Organisation und Bürokratie, aber auch über die Vorteile und Tücken basisdemokratischer Prozesse gelernt: »Ein spannender Weg.«
Solidarität und gerettete Lebensmittel
Als »Glücksfall« bezeichnet Hannah Fischer die Adresse von »Frau Lose« im quicklebendigen Dortmunder Unionviertel: »Wir sind froh und dankbar, dass wir diesen Ort gefunden haben.« Die sehr heterogene Umgebung führe zu interessanten Begegnungen: »Nebenan ist eine Initiative für obdachlose Menschen, von denen immer wieder welche zu uns in den Laden kommen.« Die finden den Laden klasse und profitieren, wie alle anderen Kund:innen, schon mal vom ganz praktischen Solidaritätsprinzip bei »Frau Lose«: Wer mehr ausgeben mag und kann, darf beim Einkauf gerne aufrunden. Die Differenz zum tatsächlichen Preis kommt dann auf einem Gutschein an die Pinwand: »Wer weniger Geld hat, darf sich hier gerne bedienen.« Etwas weiter nördlich, im selbstverwalteten Initiativenzentrum »Langer August«, gibt es im Pop-up-Restaurant »Fabulose« leckere Gerichte aus vor dem Mülleimer geretteten Zutaten und den Lebensmitteln von »Frau Lose«. Gröning ist von der Abwechslung begeistert: »Man weiß morgens nicht, was man abends zu kochen hat. Das fördert die Kreativität.« Die Menschen hinter dem mithilfe einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne im September 2020 eröffneten Restaurant wollen auch ein Zeichen setzen gegen die rund 18 Millionen Tonnen Lebensmittel, die jährlich in Deutschland weggeworfen werden. Und wofür steht der Name »Fabulose«? »Fair, anders, B-Ware und lose«, erläutert Hannah Fischer und ergänzt lachend: »Und das in Dortmund. Aus dem Pott in den Pott.«
Ich muss mich engagieren
Enthusiasmus, Solidarität und die Motivation, Herausforderungen nicht nur zu identifizieren, sondern sie auch anzugehen – waren das immer schon typische Eigenschaften von Hannah Fischer? Engagiert für andere habe sie sich bereits früh, zunächst im Sport, wo sie als Handballerin beim TB Burgsteinfurth mit zwölf Jahren eine Ausbildung zur Gruppenhelferin absolvierte. Und in der Schule habe sie bei empfundenen Ungerechtigkeiten eher einmal zu oft den Mund aufgemacht: »Ich bin schon immer aufgestanden – und bin auch immer rausgeflogen.«
Nach dem Abitur ging die heute 31-jährige über das Freiwilligenprogramm »weltwärts« für ein Jahr in ein Dorf in der ghanaischen Volta-Region. »Das waren intensive zwölf Monate«, erinnert sie sich. Und genauso intensiv war nach ihrer Rückkehr die Wiedereingewöhnung in der alten Heimat: »Ein ziemlicher Bruch, in einer westfälischen Kleinstadt ist die Welt doch ein bisschen heiler.« Nach einer kurzen Phase der Reflexion war für Hannah Fischer klar: »Ich muss mich engagieren.«
Dortmund – Ghana
Das tat sie dann auch, zunächst mit dem Aufbau einer Jugendgruppe bei Africa Positive in Dortmund, wo sie ein Studium der Erziehungswissenschaften begonnen hatte. Hannah Fischer freut sich, dass auch Africa Positive-Gründerin Veye Tatah ein Kapitel (siehe Veye Tatah) in diesem Buch gewidmet ist: »Eine tolle Frau, die mich stark geprägt hat.« Schließlich – Hannah Fischer studierte mittlerweile in Bochum – wurde sie vom Eine Welt Netz NRW angesprochen, um dort unter anderem als Promoterin Junges Engagement für das entwicklungspolitische Netzwerk OpenGlobe zu arbeiten. Während ihres Studiums ging sie noch einmal für ein Jahr nach Ghana, diesmal in die Hauptstadt Accra. Dort arbeitete sie für die Hanns-Seidel-Stiftung – wieder eine interessante Erfahrung, allerdings nicht unbedingt eine positive: »Ich habe gemerkt, dass die Stiftungsarbeit nichts für mich ist. Ich bin da zu praktisch veranlagt.« Und sie konnte einen kritischen Blick auf Teile der dort arbeitenden NGO-Szene werfen: »Überwiegend weiße Menschen, die unter sich bleiben und zudem deutlich mehr verdienen als die wenigen einheimischen Mitarbeiter:innen.«
Etwas fehlte
So intensiv und lehrreich die Jahre in der politischen Bildungsarbeit waren – Hannah Fischer fehlte etwas. »Wir haben viel gesprochen, wie können wir besser leben?« Allein, es fehlte das Machen – eine Lücke, die mit der Gründung von »Frau Lose« geschlossen wurde. Jetzt wird gemacht, nicht allein im Unverpacktladen, sondern zum Beispiel auch bei der von der Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen geförderten Wanderausstellung »Weltgarten«, die »Frau Lose« von Juni bis September 2021 im Dortmunder Westfalenpark präsentierte. Der »Weltgarten« ist eine Ausstellung des Eine Welt Netz NRW rund um die Themen Nachhaltigkeit und globale Gerechtigkeit, mit den begleitenden Veranstaltungen eines der größten Projekte des globalen Lernens ins Nordrhein-Westfalen. Mehr als 70 Veranstaltungen, 52 beteiligte Initiativen, rund 12.000 Besucher:innen: Die drei »Weltgarten«-Monate beschreibt Hannah Fischer als ebenso beglückend wie herausfordernd. Herausfordernd auch deshalb, weil in der Nacht zum 9. Juni, vier Tage vor der geplanten Eröffnung, das Herzstück der Ausstellung, ein Zelt mit mehreren Lernstationen komplett abbrannte. »Wir haben nicht lange gejammert, sondern uns sechs Stunden nach dem Brand um ein neues Zelt bemüht«, erzählt Hannah Fischer. Und tatsächlich konnte mit der geballten Unterstützung vieler Dortmunder Vereine und der schnellen Unterstützung der Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen eine Alternative für das Zelt und die verbrannten Exponate auf die Beine gestellt und die Ausstellung am 26. Juni eröffnet werden.
Vom Weltgarten zum Welthaus
Damit es Hannah Fischer und ihren vielen engagierten Mitstreiter: innen in Dortmund nicht langweilig wird, steht das nächste Projekt schon in der Pipeline: Ein Welthaus soll gegründet werden, ein Ort zur Vernetzung, zur Verbreitung der UN-Nachhaltigkeitsziele und zugleich ein Bildungszentrum und Seminarhaus mit Räumen für soziale und ökologische Initiativen. »Ebenfalls angedacht sind ein Weltladen, ein Weltcafé und ein Unverpackt Laden«, komplettiert Hannah Fischer das umfangreiche Konzept. Sie ist Vorsitzende des im September 2021 gegründeten Vereins »Welthaus Dortmund« und führt mit ihren Vorstandskolleg:innen derzeit Gespräche mit der Politik, der Verwaltung und Immobilieneigentümer:innen, um einen geeigneten Standort zu finden.
»Wir haben in den letzten Jahren gemerkt, dass es eine große Nachfrage nach einem offenen, unbürokratischen Ort gibt, an dem sich viele für Nachhaltigkeitsthemen engagierte Menschen und Gruppen treffen können«, erzählt Hannah Fischer. Der Verein erhalte großen Zuspruch, auch die Kommunalpolitik sende positive Signale: »Jetzt müssen wir nur noch die richtige Immobilie finden.« Bleibt eine Frage: Woher nimmt sie eigentlich die Energie? Hannah Fischer lacht: »Die kommt aus dem Spaß an der Sache, aus der sinnvollen Aktion. Und wenn ich erkenne, hey, das ist wichtig, habe ich überhaupt kein Problem mit der Energie.«
Weitere Informationen
=> Übersichtsseite Buch: Mehr Mut zur Nachhaltigkeit