Gisela Burckhardt: Faire Mode und Frauenrechte

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»Ich spüre einen Bewusstseinswandel«

Dr. Gisela Burckhardt: Faire Mode und Frauenrechte

»Es ist ein Irrtum, dass man mit zunehmendem Alter weiser und geduldiger wird«. Dr. Gisela Burckhardt, Jahrgang 1951, lässt keinen Zweifel daran, dass sie sich weiter über menschenunwürdige Produktionsbedingungen in der globalen Textilindustrie empören und für Verbesserungen engagieren wird. Die Gründerin und Vorstandsvorsitzende des in Bonn ansässigen Vereins für Frauenrechte FEMNET hat zwar in den letzten Jahren einige Aufgaben abgegeben, Auslandsthemen und strategische Fragen werden sie aber weiterhin intensiv beschäftigen. Und außerdem: »Ich sehe den Trump, ich sehe den Biden, die fangen mit 70 erst an. Warum soll ich aufhören?«

Gute Frage. Schließlich treibe sie das Thema Gerechtigkeit seit ihrer Kindheit um: »Es scheint in mir angelegt zu sein, mich gegen die Ungerechtigkeit in der Welt einzusetzen.« Zunächst nicht explizit als Kämpferin für Frauenrechte, obwohl sie sich bereits in ihrer Promotionsschrift mit den Erwerbsbiografien von Frauen in Ruanda beschäftigte. »Ich komme aus der Solidaritätsarbeit mit Lateinamerika, empörte mich in den 1970er-Jahren wie viele andere auch über die politischen Entwicklungen in Chile und Argentinien.«

Fokussierung

Ab 1981 arbeitete Gisela Burckhardt zunächst für diverse Organisationen in der Entwicklungszusammenarbeit in Nicaragua, Pakistan und Äthiopien und war als Gutachterin in vielen anderen Ländern im Einsatz. »Irgendwann habe ich gemerkt, dass die klassische Entwicklungshilfe nicht viel mehr sein kann als ein Tropfen auf den heißen Stein – und dass es wichtiger und wirksamer ist, bei den Handelsstrukturen anzusetzen, für faire Preise und Arbeitsbedingungen zu kämpfen.«

Zudem habe sie in Pakistan hautnah erlebt, wie massiv Frauen in bestimmten Gesellschaften unterdrückt werden. Daran habe sich bis heute nicht viel geändert: »Gerade in Ländern wie Indien und Bangladesch gibt es enorme geschlechtsspezifische Diskriminierung und Gewalt am Arbeitsplatz. Frauen sind dort oft nichts wert, mit ihnen wird teilweise umgegangen wie mit Vieh.«

Von »mitgedacht« zu »FEMNET«

Unfaire Preise und miserable Arbeitsbedingungen gibt es in vielen Branchen. Wie kam Gisela Burckhardt zu »ihrem« Thema? »Die Arbeit der 1990 in den Niederlanden gestarteten ›Kampagne für Saubere Kleidung‹ hat gezeigt, dass sich globale Zusammenhänge und ungerechte Strukturen gut am Thema Bekleidung erklären lassen, und dass es hier einen gewaltigen Verbesserungsbedarf gibt.«

»mitgedacht – feministische Perspektiven auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft« hieß der 2007 in Berlin gegründete, auf ehrenamtlichem Engagement fußende Vorgängerverein von FEMNET. »Arm, alt und abgehakt: Das zentrale Thema von ›mitgedacht‹ war die Altersarmut von Frauen«, erzählt Gisela Burckhardt: »Unter ehrenamtlichen Bedingungen war das aber nicht zu schaffen und hat den Verein an den Rand der Auflösung gebracht.« Deswegen stellte Burckhardt, die erst später zu »mitgedacht« gestoßen war, 2010 den Antrag, den Verein in »FEMNET« umzubenennen und sich künftig auf das Thema Bekleidung zu konzentrieren.

Rana Plaza und die Folgen

Der Neuanfang gestaltete sich kompliziert. »Wir mussten uns Kompetenz erarbeiten, den Umzug nach Bonn organisieren und dort eine Geschäftsstelle aufbauen, zunächst mit nur einer Honorarkraft«, so Gisela Burckhardt. Die frühe Projektförderung durch die Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen habe gerade in der Aufbauphase sehr geholfen. »Mit der Zeit haben wir dann Vertrauen aufgebaut, durch Fachkompetenz und beharrliche Arbeit. Auch die Veröffentlichung meines Buchs ›Todschick‹ im Jahr 2015 oder 2016 der Anne-Klein-Frauenpreis der Heinrich-Böll-Stiftung haben die Zahl unserer Unterstützer:innen wachsen lassen.« Und auch die der Kolleg:innen, das FEMNET-Team ist heute 20 Mitarbeiter:innen stark.

So richtig in den Fokus der Öffentlichkeit geriet das Engagement von FEMNET durch einen traurigen Anlass, den Einsturz des achtstöckigen Rana Plaza-Gebäudekomplexes in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, am 24. April 2013. Mehr als 5.000 Arbeiter:innen befanden sich in den dort untergebrachten Textilwerkstätten, in denen überwiegend Kleidung für den Export produziert wurde. 1.134 von ihnen starben infolge des verheerenden Gebäudeeinsturzes, rund 1.800 wurden verletzt. Tausende Familien standen vor dem wirtschaftlichen Abgrund, da die Näherinnen oft Alleinverdienerinnen ohne jede soziale Absicherung waren.

Betroffenheit und konkrete Verbesserungen

Das schiere Ausmaß der Katastrophe und die langjährige intensive Arbeit der Clean Clothes Campaign, einem weltweiten Netzwerk von Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen wie FEMNET sowie kirchlichen Gruppen, lösten eine heftige Debatte über die Missstände in der globalen Textilindustrie aus: miserable Löhne, endlose Arbeitstage und kaum Freizeit, ungeschützter Umgang mit Chemikalien und fehlende Brandschutzbestimmungen. »Plötzlich waren alle ganz betroffen, vor allem Unternehmen gerieten unter starken Druck«, erinnert sich Gisela Burckhardt.

Mit Konsequenzen. Bis Mitte 2015 zahlten betroffene Unternehmen mehr als 30 Millionen US-Dollar in einen Entschädigungsfonds ein. Und bereits im Mai 2013 unterzeichneten rund 200 Textilunternehmen aus über 20 Ländern ein Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch (Accord on Fire and Building Sagety in Bangladesh), das mehr als 1.600 Fabriken und 2 Millionen Textilarbeiter:innen einschloss. »Ein echter Fortschritt, vor allem hinsichtlich der Transparenz«, so Gisela Burckhardt. »Die Namen der Fabriken und die durchgeführten Maßnahmen werden im Internet veröffentlicht.«

Fortschritte mit Mängeln

Im August 2021 haben sich Textilunternehmen und Gewerkschaften auf ein neues internationales Abkommen für Gesundheit und Sicherheit in der Textil- und Bekleidungsindustrie verständigt. Das bisherige Abkommen Accord soll damit ausgebaut werden. Gisela Burckhardt setzt darauf, dass auch die Marken und Einzelhändler, die dem ursprünglichen Accord nicht beigetreten waren, diese neue Vereinbarung unterzeichnen. »Diese Marken haben wissentlich das Leben der Beschäftigten in ihren Vertragsfabriken riskiert; ihre Rücksichtslosigkeit muss ein Ende haben.« Zudem bestehe nun die Chance, das Abkommen auch auf andere Länder und weitere Menschenrechtsaspekte auszuweiten.

So sehr sich die Gebäudesicherheit verbessert hat, so sehr hapert es immer noch an der Einhaltung und Durchsetzung minimaler sozialer und arbeitsrechtlicher Standards – trotz guter Absichten. So ist das im Juni 2021 nach langem Ringen in Deutschland verabschiedete Lieferkettengesetz für Gisela Burckhardt zwar »ein erster Schritt hin zu mehr Verbindlichkeit von Unternehmen, ihrer unternehmerischen Sorgfaltspflicht nachzukommen«. Allerdings fehle mit der zivilrechtlichen Haftung ein entscheidender Faktor: »Die Näher:innen können weiterhin nicht vor deutschen Gerichten Nach deutschem Recht ihre Rechte einklagen.« Auch werden Genderaspekte im Gesetz nicht erwähnt, obwohl vor allem Frauen die Mehrheit der Arbeitskräfte in der Bekleidungsindustrie stellen.

Textilbündnis und »Grüner Knopf«

»Der ehemalige Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, hat sich deutlich wahrnehmbarer als seine Vorgänger:innen für das Thema fairer Handel eingesetzt und dabei die Menschenrechte immer hochgehalten«, lobt Gisela Burckhardt. Allerdings leide sein eher kleines Ministerium unter mangelnder Durchsetzungskraft.

Das Prestigeobjekt »Grüner Knopf«, ein staatliches Metasiegel, das die soziale und ökologische Produktion von Textilien garantieren soll, sieht Gisela Burckhardt allerdings ausgesprochen kritisch: »Der ›Grüne Knopf‹ hält nicht ein, was er verspricht: Faire Arbeitsbedingungen kann auch er nicht für die ganze Lieferkette garantieren. «Der Grüne Knopf verlasse sich auf Siegel, die auf Audits (Prüfungen) beruhten. Audits aber könnten bestenfalls punktuell prüfen und würden nicht hinter die Fassade schauen. »Audits dienen in erster Linie den Unternehmen und verhelfen Auditoren zu Einnahmen, sie haben aber in nunmehr 20 Jahren nicht zu besseren Arbeitsbedingungen geführt«, bilanziert Burckhardt ernüchtert.

Viel geredet, wenig umgesetzt

Ebenfalls unter Müllers Ägide wurde als Reaktion auf den Rana Plaza-Einsturz das Bündnis für nachhaltige Textilien ins Leben gerufen – eine Multi-Stakeholder-Initiative mit derzeit 126 Mitgliedern aus Wirtschaft, Bundesregierung, Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und Standardorganisationen, die gemeinsam die Arbeitsbedingungen in der weltweiten Textilproduktion verbessern wollen. Gisela Burckhardt vertritt die Zivilgesellschaft mit zwei Kolleg:innen im obersten Gremium, dem Steuerungskreis. Zusätzlich bringt sich Burckhardt in Arbeitsgruppen zu Themen wie Transparenz, Beschwerdemechanismen oder Geschlechtsspezifische Gewalt ein.

Diese Arbeit absorbiere viel Zeit, sagt die 70-Jährige. Lohnt der Aufwand? »Das Textilbündnis ist ein kleiner Treiber für bessere Umwelt- und Sozialstandards. So wird die Zahlung von existenzsichernden Löhnen von allen Mitgliedern als wichtiges Ziel angesehen. « Allerdings werde viel geschrieben, aber wenig umgesetzt. Und die Mitgliedschaft eines Unternehmens im Bündnis sage zunächst einmal nichts aus: »Unternehmen verpflichten sich zu wenig, das Textilbündnis ist freiwillig und macht zu wenig Vorgaben, deshalb ist es so wichtig, dass wir ab Januar 2023 das Lieferkettengesetz haben, das alle Unternehmen verpflichtet, ihrer unternehmerischen Sorgfaltspflicht nachzukommen«, so Burckhardt. FEMNET hat sich in den letzten Jahren zusammen mit 130 anderen Nichtregierunsorganisationen für ein Gesetz eingesetzt.

Vorsichtig optimistisch

Die Verantwortung der Politik ist das eine, aber wie sieht es mit uns aus, den Verbraucher:innen? Der Marktanteil ökologisch und fair produzierter Mode in Deutschland wird auf maximal ein Prozent geschätzt. »Es ist wie so oft. Alle finden es toll, nur wenige kaufen es«, macht sich Gisela Burckhardt keine Illusionen. Dennoch blickt sie optimistisch nach vorn: »Ich spüre einen langsamen Bewusstseinswandel, immer mehr Läden bieten fairer produzierte Mode an.« Auch die von FEMNET herausgegebenen Einkaufsführer für faire Mode in Bonn und Köln, die mittlerweile in der 5. Auflage erscheinen, dienen bereits vielen anderen Kommunen als Vorbild. Große Fortschritte sieht Gisela Burckhardt bei der öffentlichen Beschaffung. »Wir haben einige Städte beraten und bekommen immer mehr Anfragen. Bonn, Köln, Mannheim, Stuttgart, Karlsruhe, Berlin, da bewegt sich wirklich etwas.« Zumal bei der oft hochwertigen Dienst- und Schutzkleidung für kommunale Mitarbeiter: innen der Preisunterschied zwischen fair und nicht fair gering sei und kaum eine Rolle mehr spiele.

Blick nach vorn

Es geht also voran, aber noch bleibt viel zu tun. FEMNET setzt vor allem auf die Bildungsarbeit mit jungen Menschen, unter anderem mit Angeboten für modebezogene und wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge. Gisela Burckhardt muss lachen, wenn sie sich an die Anfänge erinnert: »Als wir damals an der Hochschule Niederrhein anfingen, empörten sich Unternehmensvertreter, dass der Repräsentant einer NGO aus dem globalen Süden dort jetzt plötzlich sprechen durfte. Bis dato war das ihre Domäne gewesen, da konnten sie tun und lassen, was sie wollten.« Das habe sich mittlerweile geändert: »Wir geben den Perspektiven der Beschäftigten Raum, das bringt viele Studierende zum Nachdenken.« Und beeinflusst die Lebensplanung: »Jedes Jahr gehen Absolvent:innen zu öko-fairen Marken oder gründen selber ein solches Label.«

Gisela Burckhardt, die im Juni 2021 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde, hat zwei mittlerweile erwachsene Kinder. Wie kamen die in der Pubertät mit den Modevorstellungen ihrer Mutter klar? »Als die beiden im kritischen Alter waren, stand die Gründung von FEMNET noch bevor, die Diskussionen hielten sich in Grenzen. Und zuvor gab es ohnehin nur Secondhand-Klamotten, da ich keine teure Kleidung kaufen wollte für Kinder, die nach einem halben Jahr rausgewachsen sind. Sie waren also einiges gewöhnt.« Mittlerweile hat Gisela Burckhardt zwei Enkelkinder. Wenn ihre Großmutter so weiter macht, dürfen sich die beiden auf ein stetig wachsendes Angebot fair produzierter Mode freuen.

 

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=> Übersichtsseite Buch: Mehr Mut zur Nachhaltigkeit

 

 

Auszeichnung für Femnet-Gründerin

 

Ausstellung #eintshirtzumleben

 

Kunst statt Konsum