„Das Lieferkettengesetz ist ein dickes Brett“
„Das Lieferkettengesetz ist ein dickes Brett“
Interview mit Manfred Belle, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Stiftung sowie Stellvertretender Geschäftsführer des Eine Welt Netz NRW, zum Thema nachhaltige Lieferketten.
Manfred Belle, Sie haben dieses und letztes Jahr auf dem Deutschen Nachhaltigkeitstag die Diskussion zum Thema Lieferkette moderiert. Mal ganz ehrlich: Sind wir seit letztem Jahr weitergekommen?
Einerseits hat sich der Fortschritt in der Sache durch die Corona-Krise verlangsamt – wie bei so vielen wichtigen Nachhaltigkeits-Themen. Andererseits gibt es große Erfolge. So votierte in der letzten Woche der EU-Rat für ein Lieferketten-Gesetz. Damit haben sich alle drei gesetzgeberischen Ebenen der EU, also Rat, Kommission und Parlament, für ein Gesetz ausgesprochen. Vor einigen Tagen gab es in der Schweiz eine Mehrheit bei einer Volksabstimmung – wenn dabei auch leider nicht die nötige Kantonsmehrheit erreicht wurde. Aber im September gab es eine Infratest-Umfrage mit einer breiten Zustimmung auch bei den CDU-Wählern in Deutschland. Das wird nicht ohne Wirkung bleiben. Es geht nicht mehr um das ob, sondern nur noch um das wie. Und das Lieferkettengesetz ist, um mit Max Weber zu sprechen, ein dickes Brett, in das mit Augenmaß und Geduld gebohrt werden muss. Die Eine-Welt-Bewegung beklagt Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten seit über 40 Jahren. Und sie wird nicht lockerlassen.
Ein aktueller Report der Christlichen Initiative Romero belegt Missstände in chinesischen Spielzeugfabriken und nach den neuesten Ergebnissen des Kakao-Barometers, hat sich die Lage der Kakaobauern und -bäuerinnen in den letzten zwei Jahren nicht verbessert – im Gegenteil ausbeuterische Kinderarbeit und Entwaldung haben zugenommen. Warum tut sich die deutsche Politik – gerade in Zeiten einer weltweiten Pandemie – so schwer mit einem Lieferkettengesetz?
Das Problem beschreibt der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) so: „Die zivilrechtliche Haftung verkennt die Komplexität globaler Lieferketten, die oftmals über 100 Zulieferstufen enthalten und aus Deutschland heraus überhaupt nicht zu kontrollieren sind. Unternehmen können deshalb auch dafür nicht in Haftung genommen werden.“ Es geht um globalen Wettbewerb und um die Sorge, dabei belastet zu werden. Es geht auch um einen System-Wettbewerb zwischen China und Europa. Die Ökonomie wurde globalisiert, die Werte wie Menschen- , Arbeits- und Umweltrechte wurden es nicht. Jetzt ist es schwierig, dieses Versäumnis zu korrigieren – zumal wichtige Akteure, die jetzt im Vorteil sind, an einer globalen sozial-ökologischen Marktwirtschaft auch kein Interesse haben.
Kann ein europäisches Lieferkettengesetz die Lösung sein?
Ein europäisches Lieferkettengesetz ist dringend nötig, aber eine Lösung für die Defizite der Globalisierung ist das noch nicht unbedingt. Deshalb ist es gut, dass eine europäische Regelung kommen wird.
Eine letzte Frage zur Veranstaltungsform: Halten Sie das digitale Format für zukunftsweisend oder sollten wir lieber zu realen Veranstaltungen zurückkehren?
Reale Veranstaltungen sind besser. Die Podiumsdiskussionen wären lebendiger und die Beteiligung des Publikums wäre einfacher. Aber ich bin dafür, das Format weiterhin ins Netz zu übertragen und eine Online-Beteiligung parallel zu ermöglichen. Außerdem wird es für manche Referentin und manchen Referenten auch in Zukunft leichter sein, online teilzunehmen anstatt einen ganzen Tag zu investieren, nur um eine Stunde mitzudiskutieren.
Zur Person
Manfred Belle ist Politikwissenschaftler und beim entwicklungspolitischen Landesnetzwerk Eine Welt Netz NRW im Programm der Welt-Promotoren für die Ziele der Nachhaltigen Entwicklung und für Unternehmenskooperationen zuständig. Er unternahm Projektreisen nach Ghana, Ruanda, Uganda, Tansania und Simbabwe. Seit 2018 ist er Stellvertretender Vorsitzender der Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen.
Weitere Informationen
=> Eine Welt Netz NRW – Lieferkettengesetz
Building back better – nachhaltige Entwicklungspolitik in Corona-Zeiten