„…dann wird es ganz still in der Klasse!“
Flucht und Migration
Das Projekt Life back Home verbindet seit 2016 entwicklungspolitische Bildungsarbeit in Schulen mit den Themen Flucht und Migration. Seitdem bildete das Projekt, das durch The Global Experience e. V. durchgeführt wird, rund 25 junge Geflüchtete zu Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus, die über 150 Schulklassen und Bildungseinrichtungen besuchten. Das Besondere: Geflüchtete berichten authentisch von ihren Erlebnissen. Durch diese Begegnungen erhalten geflüchtete Menschen sowie Fluchtursachen mehr Verständnis.
„… dann wird es ganz still in der Klasse!“
Interview mit der Projektmanagerin Nina Taubenreuther, The Global Experience e. V.
Wie schaffen Sie es, Jugendliche innerhalb einer Doppelstunde für das Thema Flucht und Migration zu sensibilisieren?
Um Schülerinnen und Schüler nicht nur kognitiv, sondern auch emotional an das Thema heranzuführen, starten wir in der Regel mit einem Spiel. Wir teilen die Klasse in zwei Hälften. Die Jugendlichen der einen Hälfte leben in einem Fantasieland namens Mandalowien. Dort verschlechtern sich Schritt für Schritt die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Zuerst finden dort keine freien Wahlen mehr statt. Danach werden Journalistinnen und Journalisten verhaftet, das Internet wird reglementiert und in der schlimmsten der elfstufigen Eskalationsspirale bricht schließlich Bürgerkrieg aus. Nach jeder Eskalationsstufe haben die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, das Land zu verlassen. Sie müssen sich also jedes Mal die Frage stellen: Möchte ich unter diesen Bedingungen noch in diesem Land leben?
Und dann?
Damit ist das Eis erst mal gebrochen und die Jugendlichen sind bereit, sich dem Thema zu öffnen. Nach dem Spiel erzählen zwei Geflüchtete aus unserem Team ihre persönliche Geschichte, die wir in vier Bereiche einteilen: vor dem Krieg, während des Kriegs, die Flucht und das Leben in Deutschland. Sie zeigen dies anhand von persönlichen Fotos. Spätestens dann wird es ganz still in der Klasse. Zu sehen, wie Jugendliche beispielsweise in Syrien zur Schule gehen, miteinander feiern oder Fußball spielen. Und dann, auf dem nächsten Foto, sieht man zerstörte Gebäude und begreift, dass Flucht nicht freiwillig passiert, sondern Ursachen hat. Sie lernen die enormen Strapazen und Anstrengungen kennen, die Flüchtlinge erleiden, zudem die finanziellen und logistischen Herausforderungen: Was kostet eine Flucht? Wie nehme ich überhaupt Kontakt zu Schleppern auf oder was passiert, wenn ich während der Flucht krank werde?
Wie sind Ihre Erfahrungen?
Durchweg gut. Anfang des Jahres 2020 waren wir mit 30 geplanten Veranstaltungen komplett ausgebucht. Wir wurden nicht nur von Lehrenden der Klassen 7 bis 13 angefragt, sondern auch von Grundschulen, Berufsschulen, Volkshochschulen oder gar Universitäten. Einige Schulen hatten zudem nicht nur Doppelstunden gebucht, sondern sogar komplette Projekttage. Doch dann kam Corona und nahezu alle Veranstaltungen mussten abgesagt werden.
Stellen Sie bei den Schülerinnen und Schülern Veränderungen fest?
Unsere Befragung und Evaluation zeigen, dass rund 70 Prozent der Schülerinnen und Schüler durch unsere Besuche zum ersten Mal Kontakt mit einem Geflüchteten haben. Viele beschäftigt die Begegnung sehr. Über 80 Prozent geben an, dass sie die Erfahrungen in der Projektstunde zu Hause mit ihren Eltern besprechen.
Was macht Ihre Arbeit so erfolgreich?
Die direkte persönliche Begegnung mit Geflüchteten auf Augenhöhe. Zu begreifen, dass dies Menschen wie du und ich sind. Da steht jemand vor dir und der ist real. Das ist kein Spielfilm, kein Onlinespiel und kein YouTube-Video. Die persönliche Nähe sorgt für sehr hohe Akzeptanz.
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