Building back better – nachhaltige Entwicklungspolitik in Corona-Zeiten
Building back better – nachhaltige Entwicklungspolitik in Zeiten von Corona
Interview mit Prof. Imme Scholz über die weltweite Pandemie, deren soziale und ökonomische Folgen, die vor allem Menschen des Globalen Südens treffen, da sie kaum Zugriff auf leistungsfähige Gesundheitssysteme, soziale Sicherungsstrukturen und staatliche Hilfsprogramme haben sowie über Mut machende Perspektiven, Anforderungen an eine verantwortliche Entwicklungspolitik und die Rolle Deutschlands.
11. November 2020
Frau Professor Scholz, wie wirkt sich die Pandemie weltweit aus?
Weltweit betrachtet ist das sehr unterschiedlich: der überwiegende Teil der Menschen, die an Corona sterben, stammen aus Nordamerika und Europa. In den ärmsten Ländern gibt es bisher nur eine sehr geringe Sterblichkeit. Hingegen ist dies in den Ländern mit mittlerem Einkommen anders, hier gibt es sehr hohe Infektions- und Sterblichkeitszahlen, insbesondere in Lateinamerika und in Indien. Asien insgesamt steht gut da: Nicht nur China, auch Taiwan, Südkorea, Laos, Kambodscha und Vietnam haben die Ausbreitung des Virus unter Kontrolle gebracht. In vielen Ländern Subsahara-Afrikas ist die Zahl der Infektionen und Todesfälle niedrig, und sie sinkt. Dies wird auf die hohen Anteile von jungen Menschen und ländlicher Bevölkerung zurückgeführt und darauf, dass viele afrikanische Länder Erfahrungen mit Epidemien – vor allem Ebola – haben: deshalb haben sie schnell und wirksam reagiert und die Ausbreitung eindämmen können. Auch in Asien haben die Erfahrungen mit der Vogel- und der Schweinegrippe die Regierungen und Bevölkerungen dazu gebracht, sich auf Epidemien vorzubereiten und sie ernst zu nehmen.
Und wie sieht es wirtschaftlich aus?
Die Pandemie hat nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) 2020 zu einem globalen Wirtschaftseinbruch geführt, von -4,4%. Das ist erheblich mehr als bei der Finanzkrise im Jahr 2008. Der Einbruch hängt vor allem mit den Maßnahmen zur Eindämmung des Virus zusammen: schon vor den Schließungen von Betrieben und Schulen blieben Anfang des Jahres viele Menschen verstärkt zuhause. Grenzschließungen unterbrachen transnationale Wertschöpfungsketten; sehr viele Menschen wurden arbeitslos, verloren ihr Einkommen oder gingen in Kurzarbeit. Die wirtschaftliche Unsicherheit führt zu einem Rückgang bei Konsum, Investitionen und beim Tourismus, der für viele Entwicklungsländer sehr wichtig ist.
Welche Maßnahmen wären jetzt angebracht?
Die Pandemie erfordert eine doppelte Reaktion: Zum einen müssen wir die Gesundheitsversorgung aufrechterhalten und sie an den Bedürfnissen der Covid-19-Patienten ausrichten. In vielen Ländern Europas und in den USA geriet und gerät das Gesundheitssystem an seine Grenzen, auch weil viele Pflegerinnen, Pfleger und Ärzte erkrankt sind. In Entwicklungsländern wird mit geringen Mitteln viel erreicht, aber viele von ihnen leiden ohnehin unter einer grundsätzlichen Unterversorgung: es gibt einfach zu wenig Ärzte- und Pflegepersonal, zu wenig Krankenhäuser, zu wenig Behandlungsmittel und zu geringe Laborkapazitäten. Neben der Gesundheitsversorgung müssen jetzt auch mit öffentlichen Mitteln die sozialen und ökonomischen Folgen für Betriebe und Haushalte abgemildert werden. Also über Kredite, Zuschüsse, Kurzarbeitergeld und Arbeitslosenversicherungen oder andere Barmitteltransfers an Bedürftige, sowie über die Stundung von Steuerzahlungen.
Wie wird das finanziert?
Reiche Länder können dies über die Aufnahme von Schulden machen. Entwicklungsländer dagegen haben wesentlich höhere Kosten bei der Schuldenaufnahme, weil sie Risikoaufschläge zahlen müssen oder gar keine Möglichkeit haben, Kredite aufzunehmen. Im Gegenteil: viele Länder waren bereits vor der Krise hoch verschuldet. Viele von ihnen legten aber cash-transfer-Programme auf oder verstärkten die Mittel für bestehende Programme, um unmittelbarer Not zu begegnen.
Können Sie das in Zahlen ausdrücken?
Die Summe der weltweiten Konjunkturpakete liegt insgesamt bei rund 13 Billionen Dollar. 80% dieser Mittel konzentrieren sich auf die Staaten Nordamerikas, auf Europa und Japan. Chinas Konjunkturpaket ist kleiner als die 750 Milliarden des Next Generation EU-Pakets, Indien kommt lediglich auf 250 Milliarden. Die meisten Entwicklungsländer haben kaum Spielräume, um die Menschen und die Wirtschaft aktiv zu unterstützen.
Wie gehen wir vor dem Hintergrund der Pandemie mit Herausforderungen wie Klimawandel und Artensterben um?
Der Klimawandel oder der Biodiversitätsschutz warten nicht darauf, dass sich die Welt von Covid-19 erholt. Deshalb ist ziemlich bald nach dem Ausbruch der Pandemie die Forderung erhoben worden, diese Konjunkturprogramme zu nutzen, um Produktion und Konsum nachhaltiger zu gestalten und in klimaneutrale und biodiversitätsverträgliche Infrastrukturen und Produktionsmuster zu investieren. Das halte ich für sehr wichtig, denn wir dürfen keine Zeit verlieren.
Werden bei den aktuellen Konjunkturprogrammen denn Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt?
Die meisten Konjunkturpakete sind auf diesem Auge blind. Nach Angaben des Greenness of Stimulus Index von Vivid Economics stecken Staaten aktuell mehr Geld in umweltschädliche Wirtschaftsbereiche als in Bereiche, die sich positiv auf die Nachhaltigkeit auswirken. Von den weltweiten 13 Billionen USD werden etwa 3,7 Billionen in die Sektoren Landwirtschaft, Industrie, Energie und Müll geleitet; hier ist es wichtig, aktiv umzusteuern. Positiv zu bewerten ist das EU-Paket Next Generation, denn hier sollen 37% der Mittel zum Schutz des Klimas und der Umwelt aufgewendet werden. Das ist wichtig, denn diese Programme sind eine große Chance, um Mittel bereitzustellen, mit denen die Energieversorgung auf erneuerbare Energien umgestellt werden kann. Angesichts der hohen Summen, die im Energiesektor ohnehin bereitstehen, würden bereits 12% der Konjunkturmittel ausreichen, um den zusätzlichen Finanzierungsbedarf zwischen 2020 bis 2024 zu decken. Das hat ein Team um Marina Andrijevic von Climate Analytics und der HU Berlin berechnet. Das macht Mut. Aber: Konjunkturpakete allein reichen nicht aus. Die Politik muss den Rahmen setzen, der deutlich macht, wohin die Reise geht, in welchem Tempo und wie Risiken abgesichert werden. Hier können öffentliche Entwicklungsbanken, wie die Europäische Investitionsbank (EIB) und die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), eine wichtige Rolle spielen. Gleichzeitig muss darauf geachtet werden, dass dieser Strukturwandel nicht zu Lasten der ärmeren Länder geht.
Wie können wir ärmere Länder bei diesem Strukturwandel unterstützen?
Die Entwicklungspolitik kann drei Dinge tun:
Erstens müssen die Länder dabei unterstützt werden, dass sie funktionsfähige öffentliche Haushalte aufstellen können. Es geht also um Schuldenmoratorien und Schuldenerlasse. Diese müssen an Maßnahmen zur Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) gebunden werden – diese Forderung richtet der RNE auch an die Bundesregierung für das deutsche Konjunkturprogramm – und an gute Regierungsführung. Es geht aber auch um Mobilisierung von Eigenmitteln, das heißt verstärkte Anstrengungen zur Verhinderung von illegalen Finanzströmen und die Unterstützung bei der Modernisierung von Steuerverwaltung, Rechnungshöfen, der Korruptionsbekämpfung und Förderung von Rechtsstaatlichkeit. Unterstützend können in spezifischen Bereichen auch Budgets für Reformen finanziert werden, zum Beispiel für soziale Sicherungssysteme oder grüne Infrastrukturen.
Zweitens: Schwerpunkte setzen auf die integrierte, nicht parallele, Bearbeitung der Folgen der Pandemie zusammen mit der Beförderung einer Transformation zur Nachhaltigkeit. Darauf muss sich Entwicklungspolitik insgesamt stimmig und kohärent ausrichten. Damit wird auch der Mehrwert einer Betrachtung von „building back better“ aus der Sicht der Agenda 2030 klar. Entstanden ist der Begriff ja vor allem im Bereich der Klima- und Umweltpolitik und wurde dann von einer breiteren Community der nachhaltigen Entwicklung aufgenommen. Der wesentliche Mehrwert ist aus meiner Sicht, dass die sozialen Voraussetzungen von nachhaltigen Umbauprozessen stärker in den Blick genommen werden müssen und erlauben, die Interaktionen zwischen den drei Dimensionen nachhaltiger Entwicklung – Soziales, Ökologie und Wirtschaft – zu betrachten und blinde Flecken zu vermeiden.
Drittens muss die Kooperation möglichst passgenau sein und sowohl an Stärken und Errungenschaften der Partner anschließen als auch auf neue Corona bedingte Problemlagen reagieren. Dabei sollten einzelne bilaterale Geber Hand in Hand mit den regionalen Entwicklungsbanken, den UN-Organisationen, der Weltbank und dem IWF arbeiten, um unnötige Friktionen und Konkurrenzen zu vermeiden und die knappen Mittel wirksam einzusetzen.
Welche Rolle sollte Deutschland spielen?
Ein wichtiger komparativer Vorteil der deutschen Politik ist aus meiner Sicht das Festhalten an dem Anspruch, globale Strukturpolitik zu betreiben und damit internationale Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass sie nachhaltige Entwicklung befördern und die Partner bei der Gestaltung ihrer eigenen Strukturen unterstützen. Die Pandemie bestätigt, dass dieser Anspruch angemessen und notwendig ist.
Zur Person
Prof. Dr. Imme Scholz ist stellvertretende Direktorin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn. Sie ist zudem Honorarprofessorin für globale Nachhaltigkeit und ihre normativen Grundlagen an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, stellvertretende Ratsvorsitzende im Rat für Nachhaltige Entwicklung sowie Mitglied im Rat der Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen. Seit über 20 Jahren arbeitet sie zu verschiedenen Fragestellungen von Umwelt und Entwicklung, wie der Land- und Waldnutzung in Amazonien, nachhaltigem Konsum, Anpassung an den Klimawandel oder der Rolle von Entwicklungspolitik bei der Förderung der internationalen Umweltzusammenarbeit.
Weitere Informationen
=> Prof. Dr. Imm Scholz – Stellvertretende Vorsitzende Rat für Nachhaltige Entwicklung
Die Themen der Stiftung auf dem 13. Deutschen Nachhaltigkeitstag
„Jede und jeder kann ein Stück Regenwald retten“